Warum ist aus estnischer Sicht so wenig über Erkenntnisse aus den Veröffentlichungen der "Panama-Papiere" zu hören, zu lesen oder zu sehen? Es liegt zunächst daran, dass in der internationalen Recherchegruppe kein estnischer Journalist dabei war (International Consortium of Investigative Journalists ICIJ) - immerhin ein ein Netzwerk von 160 Journalisten in etwa 60 Ländern. Hat Estland keine guten, unabhängigen Journalisten, die ausreichend unabhängig von Regierung oder Wirtschaft arbeiten?
Estnische Medien sehen das Thema aus anderer Perspektive: nur 22 Begünstigte, 80 Anteilseigner und "nur" 800 estnische Firmen werden in den "Panama-Papieren" erwähnt. "Wir sollten uns erinnern, dass Estland doch einen recht kleinen Markt darstellt" (Journalist Anvar Samost bei ERR) - solche Aussagen hat man von den sonst so selbstbewußten Esten lange nicht mehr gehört. Beliebt sind auch Vergleiche mit den südlicheren baltischen Schwestern: während von lettischer Seite darauf hingewiesen wird, dass die vielen Einzeleinträge von Transaktionen bei lettischen Banken vor allem von Kontoinhabern getätigt wurden, die nicht Staatsbürger Lettlands sind (wodurch diese Geschäfte allerdings nicht besser werden), wagt der estnische Kollege Samost zart anzudeuten: auch in Estland könnte es Korruption geben.
Wer sich wegen seiner Geschäftsbeziehungen mit Panama Sorgen macht, solle doch einfach die estnischen Steuerbehörden kontaktieren, meint Rainer Laurits, Sprecher des Finanzministeriums gegenüber der "Baltic Times". In Estland gelte das Steuergeheimnis, betont er, und das gelte selbst dann, wenn gegen bestimmte Personen Ermittlungen in Gang gesetzt werden sollten. Ob also die Wirtschaft Estlands - das sich ja selbst immer wieder als Land niedriger Steuern und geringer Belastungen für Unternehmen positioniert hat - ob es also Bezüge estnischer Firmen zu Mossack Fonseca gibt: das hat offenbar noch gar keiner so richtig untersucht. Leise und vorsichtig ist zwischen den Zeilen aus den spärlichen Kommentaren in der estnischen Presse herauszulesen: da es noch keine skandalösen Überraschungen gab, ähnlich wie Island oder Großbritannien, hoffen wir mal dass es zumindest keine estnischen Politiker/innen betreffen wird.
Estnische Finanzmarkt-Experten wie Aivar Paul hoffen sogar darauf, dass Estland der neue Ort für Anlageinteressierte werden könnte (delfi.ee); Panama-Nachfolger sozusagen. Schließlich sei eine Unternehmensgründung in Estland sehr einfach, und dank der Möglichkeiten einer "virtuellen Staatsbürgerschaft" stünden Firmen dann viele Dienstleistungen offen. - Na, dann muss der Kindervers wohl umgeschrieben werden: "Oh, wie schön ist Pan... - Estland!"
Gerade diese einfache Art, Firmen gründen zu können, geriet ja in den Fokus von Verdächtigungen - wenn zum Beispiel allein auf den Britischen Jungferninsels 481.000 Firmen registriert sein sollen (Spiegel). Unter den EU-Mitgliedstaaten ist da Estland, neben Malta, Liechtenstein, San Marino, Zypern, der Isle of Man, Guernsey und Jersey, Island und Gibraltar auch Eesti ein Land mit sehr vielen Firmen im Verhältnis zur Einwohnerzahl. Estland-Freunde werden vielleicht hoffen, dass Aussagen wie die vom GRÜNEN-Europapolitiker Sven Giegold nicht auch auf Estland zutreffen: "Nur für kleine Staaten rechnet sich das Steuergeschäft; Sie verkaufen ihre Souveränität an
Vermögende und richten anderswo Milliardenschäden an." (zitiert nach: Spiegel)
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