Es ist ein seltsames Thema. Wer sich in der estnischen Geschichte nicht so gut auskennt, dem wird sicherlich sehr viel erzählt werden über estnische Flüchtlinge in der ganzen Welt, Estland zwischen zwei Diktatoren und dem langen Warten auf die wieder erkämpfte Unabhängigkeit. Sind Estinnen und Esten nur dorthin geflohen wo Menschen mit ähnlicher Lebensauffassung und Traditionen wohnten? Sicher nicht. Wer vor Krieg und Verfolgung flieht, hat wahrscheinlich andere Sorgen.
Regierungschef Taavi Rõivas, Verteidigungsminister Sven Mikser und Sozialminister Margus Tsahkna bei einer gemeinsamen Pressekonferenz zum Flüchtlingsthema |
Ex-Kommunistenführer Rüütel, heute Ehrenvorsitzender der estnischen Konservativen Volkspartei (EKRE), appelliert offenbar immer noch im Bewußtsein der Unkenntnis in der Welt gegenüber estnischen Verhältnissen: "Wir haben bereits einen der größten Anteile von Nicht-Einheimischen in ganz Europa." EKRE behauptete schon vor Monaten, die estnische Regierung plane eine "Massenimmigration" von bis zu 50.000 Asylanten innerhalb der nächsten fünf Jahre.
Nicht-Einheimische? Da wird eine Doppeldeutigkeit estnischer Politik deutlich: einerseits tut die estnische Regierung alles, um die "Normalität" der estnischen Verhältnisse darzustellen - Russen als gleichberechtigte Mitbürger, entweder auf den Wartelisten zur Einbürgerung, oder als selbstgewählte Sonderlinge mit "Nichtbürgerpass". Alles ganz normal. Aber wenn es um die Belastbarkeit dieser "Normalität" geht, sind gebürtige Russen - egal ob mit oder ohne Staatsbürgerschaft - plötzlich wieder "Nicht-Einheimische". Und das 25 Jahre nach Wiedererlangung der Unabhängigkeit.
Zukünftige Szenen in Estland? Eine Bildmontage eines estnischen Bloggers |
Sven Mikser und Sozialminister Margus Tsahkna versuchten Bedenken entgegenzutreten: "Das Gerede von einem 'Trojanischen Pferd' durch Flüchtlinge ist absolut haltlos", so der amtliche Regierungston. Es gäbe auch estnische Unternehmer, die gerne bereit wären Flüchtlingen Arbeit zu geben. Die estnische Regierung hatte sich bereits energisch gegen feste Aufnahmequoten von Flüchtlingen ausgesprochen, deutete aber an, eine Aufnahme von 200 Personen innerhalb der nächsten zwei Jahre wäre möglich. Diese Flüchtlinge sollen dann "über ganz Estland verteilt" werden, angeblich um die Bildung von "Ghettos" zu vermeiden (siehe ERR). Ministerpräsident Rõivas äusserte seine Überzeugung, diese Flüchtlinge würden auch Estnisch lernen wollen.
Der Artikel ist sehr gut, aber noch zu harmlos. EKRE braucht nicht mit Samthandschuhen angefasst werden, es sind die schlimmsten Xenophoben, die sich dort versammelt haben. Aber es geht noch schlimmer, wie das Beispiel von Kristina Ojuland, ehemalige Aussenministerin und EU-Abgeordnete, zeigt.
AntwortenLöschen