Ist Estland eigentlich "baltisch"? Die estnische Sprache ist ja dem Finnischen ähnlich (finno-ugrisch), und das sogenannte "Baltikum" ist sowieso ein Behelfsbegriff ohne Grundlage. Noch viel zu wenig ist in Deutschland bekannt über Kultur und Geschichte, über Politik und Gesellschaft in Estland. Die jungen Europäer in Deutschland und Estland werden die Zukunft prägen! Wir rufen auf zur Diskussion.
Mittwoch, August 31, 2011
Zwischenstand Leichtathletik-WM
Dienstag, August 30, 2011
Ilves wiedergewählt – Estlands Stabilität
In den vergangenen 20 Jahren war ungeachtet selbst der Popularität von Lennart Meri, der in der außerverfassungsmäßigen Volkswahl von 1992 sogar beinahe dem kommunistischen Kader Arnold Rüütel unterlegen wäre, niemals gelungen, die erforderliche zwei Drittel-Mehrheit im Parlament zu erringen, immer mußte der Wahlausschuß unter Beteiligung der Kommunalabgeordneten zusammengerufen werden, der noch 2001 selbigen Arnold Rüütel entgegen einer konservativen Mehrheit im Parlament ins Amt gebracht hatte.
Toomas Hendrik Ilves ist trotzdem ein problematischer Politiker. Er ist ein aus Amerika heimgekehrter Exilant, der in den 90er Jahren zwei Mal Außenminister war und und sich in dieser Zeit wiederholt gegen die Bezeichnung Estlands als post-kommunistischer Staat gewandt, dessen nordeuropäische Rolle betont hatte. Ilves ist mit einer deutlich jüngeren Frau verheiratet, die in Estland für kopfschütteln sorgt.
Seine Wiederwahl sicherte nun der Umstand, daß die beiden Regierungsparteien Reformpartei und Vaterlandsunion hinter ihm standen und natürlich auch seine politische Heimat, die oppositionellen nur bedingt sozialdemokratischen Sozialdemokraten. Von diesen Fraktionen fehlten ihm trotzdem zwei Stimmen. Gegenkandidat war der Entertainer Indrek Tarand, der als parteiloser Kandidat 2009 bei den Europawahlen mit einem Rekordresultat gewählt worden war. Tarand war außerdem Berater des früheren Außenministers Ilves. Die oppositionelle und politisch regelmäßig isolierte Zentrumspartei des Tallinner Bürgermeisters Edgar Savisaar hatte lediglich keine andere Persönlichkeit zu nominieren.
Montag, August 29, 2011
Mikk Pahapill und der Zehnkampf
Es war auch eine interne estnische Meisterschaft. Die Rivalität zischen Andres Raja und Mikk Pahapill beim Zehnkampf, einer Disziplin mit einer großen Tradition in Estland. Während der zwei Tage Zehnkampf bei der Leichtathletikweltmeisterschaft haben sie meist nur mit ihren eigenen Trainern gesprochen, aber nicht im Stadion miteinander. Zeitweise knapp war dann auch der Abstand zischen beiden. Mikk Pahapill wurde aber am Ende Neunter mit 8164 hinter dem Deutschen Jan Felix Knobel und Andres Raja wurde 15er mit 7982. Das Ganze fand unter ständig wechselhafter Zuschauerunterstützung statt. Am Samstag Morgen waren recht viele im Stadion, dann gegen Mittag war es plötzlich leer, abends wieder voller. Der Sonntag zweigeteilt, erst ein fast ausgestorbenes Rund dann gegen Nachmittag eine weltmeisterliche Stimmung. Das ist das erste Mal, dass ich einen Zehnkampf fast in voller Länge mitverfolgen konnte, allein der Stabhochsprung dauerte fast drei Stunden, da entwickeln sich immer individuelle Dramen, auch bei Pahapill gab es hier ein Auf und Ab. Ich kann nur sagen: Die übliche Zerstückelung dieses Wettkampfs durch Bevorzugung der Läufe und anderer Unterbrechungen im Fernsehen, lässt die Dramatik oft nur auf die Punktergebnisse reduzieren. Schade. Leute geht ins Stadion.
Und fast offiziell gibt es kein Baltikum mehr, oder gab es nie. Doch wenn der südliche Nachbar eine Medaille gewinnt, wird gerne gratuliert. Diesmal gab es Bronze für Lettland. Überraschend Ineta Radēviča im Weitsprung, die einen souveränen und konzentrierten Wettkampf hingelegt hat, mit 6.76m und knapp hinter der Zweitplatzierten:
Am Ende des langen zweiten Tages im Zehnkampf:
Samstag, August 27, 2011
IAAF - Leichtathletik Weltmeisterschaft in Südkorea
Andres Raja bei der ersten Disziplin des Zehnkampfs, dem 100 Meter Lauf. Sie sind zu zweit. Mikk Pahapill, der zwar eine bessere Punktzahl in diesem Jahr hatte, aber in den ersten drei Disziplinen deutlich hinter seinem hervorragenden Ergebnis von Götzis liegt. Dort hatte er fast 8400 Punkte geschafft. Beide Esten sind gute Hochspringer, mal sehen was noch geht. Auch viele andere Zehnkämpfer waren heute nicht zufrieden, nur Jan Felix Knobel lässt hoffen, zwei Bestleistungen gleich am Anfang.
Mikk Pahapill beim Weitsprung, das zuvor ganz gut gefüllte Stadion, war gegen Mittag ziemlich leer. Das wird sich am Abend wohl wieder ändern.
Und ein bisschen Klischee. Die Mitglieder des Estland-Teams könnten ein wenig mehr Unterstützung geben. Stattdessen cooles Understatement. Die Tschechen haben wenigstens geschrien, von der Zuschauertribüne aus.
Freitag, August 26, 2011
Noch 16 Stunden bis zur Leichtathletik-WM
Samstag, August 20, 2011
Jüri der Kapitän
Schon mal von Manilaid gehört? Eine Insel im Süden. Etwas näher zum estnischen Festland als Kihnu. Über das Foto gelangt man zu weiteren Aufnahmen.
Freitag, August 19, 2011
Photoanmerkung zum letzten Post: Dudajew
Das ist die Gedenkplatte für den tschetschenischen Präsidenten in Tartu.
The Independent zitierte 1996 einen ehemaligen Bürgermeister von Tartu, der Dudajev, Anfang der 90er ein Sowjetgeneral der Luftstreitkräfte, lobte seine Soldaten nicht gegen die Unabhängigkeitsbewegung in Estland eingesetzt und somit den Einsatz von Gewalt verhindert zu haben.
Estonia holds on to Dudayev legend.
Später ist eine andere Sache, denn die tschetschenische Unabhängigkeit wurde einfach ausgerufen und nicht wie im Baltikum durch mehrere Wahlen und Referenden mit Beteiligung aller (!) Einwohner bestätigt. Plus internationaler Wahlbeobachtung. Das lief in Tschetschenien schon anders.
Donnerstag, August 18, 2011
Dudajew und Bin Laden
Damit nicht genug! Die erste Regierung Mart Laar stürzte 1994, also nach der Unabhängigkeit, über eine Verschwörung mit den Tschetschenen. Die Esten hatten nämlich ihre bei der Nationalbank gelagerten Rubel nicht wie gefordert an Moskau zurückgegeben, sondern über Mittelsmänner nach Grosny transferiert, wo dieses Geld vermutlich für Waffen investiert wurde.
Die Logik hinter diesem Vorgehen? Dudajew hatte sich nicht gegen die Unabhängigkeit des Baltikums von der Sowjetunion gestellt und da wollten sich die Betroffenen in der Gegnerschaft der Tschetschenen gegen die Russische Föderation nicht lumpen lassen. Und die für Westeuropäer zunächst überraschende Unterstützung für das kaukasische Volk drückt sich auch in einer nach Dudajew benannten Straße im lettischen Riga aus. Die Straße heißt zwar Allee, ist aber eine eher kleine Straße weit abseits des Zentrums am Ende von Purvciems.
Nunmehr gibt es neuerlich eine Diskussion über diesen Namen, den es erst seit einem guten Jahrzehnt gibt. Im Radio äußert sich eine russisch sprechende Anwohnerin gleichgültig, während ein Lette von seinem letzten Besuch in Moskau berichtet, wo man nicht fassen konnte, daß der Mann ernsthaft vorgab, in der Dudajew Allee zu wohnen. Da könne man ja gleich eine Straße nach Bin Laden benennen. Die Russin gibt jedoch zu, daß viele Nachbarn einen anderen Namen lieber sähen, während ein zweiter Lette den Namen unterstützt.
Der seit zwei Jahren amtierende russischstämmige Bürgermeister von Riga, Nil Uschkow, würde den Namen gerne ändern, doch das läßt sich gegen den Rat für Denkmäler nur schwer durchsetzen.
Mittwoch, August 17, 2011
Amokläufer nun auch für die Esten
Der Mann war bereits in diesem Frühjahr den Behörden aufgefallen, als er im Streit mit einem Nachbarn ein auf sich registriertes Barett gegen die Wand gehalten hatte. Der russische Ombudsmann Sergej Sederenko erinnert sich, daß er das Einschußloch gesehen habe. Damals hatte aber niemand mehr auf diesen Vorfall gegeben. Der Ombudsmann, der den Schützen persönlich gekannt hat, erinnert sich an das Jahr 2007. Im Zusammenhang mit dem Konflikt um die Versetzung des Bronzesoldaten, was damals zu mehrtägigen Ausschreitungen geführt hatte, habe der Armenier gedroht, er werde notfalls auch bewaffnet auf den Tõnismägi ziehen, um den Aljoscha zu schützen, was viele gehört hätten. Sederenko fügt hinzu, daß Drambjan weder verrückt noch dumm gewesen sei, sondern einfach eine schwere Zeit gehabt habe. Jetzt hülfen den Mitarbeitern des Verteidigungsministeriums Psychologen, aber wo sei die Hilfe für Drambjan gewesen, als dieser sie genötigt habe, fragt er. Die Sicherheitsbehörden lögen, wenn sie nun behaupteten, der Schütze sei schon vorher in ihrem Fadenkreuz des Interesses gewesen. Ein Freund des Täter bestätigt gegenüber der Presse diese Informationen. Niemand habe geglaubt, daß Drambjan einen Angriff startet, dies sei aber die Reaktion eines emotionalen Menschen auf die ihm zugefügten Ungerechtigkeiten gewesen.
Keine der beiden zitierten Personen erwähnt jedoch, was der Täter erlitten haben soll und durch wen, wieso das Ziel des Angriffs ausgerechnet das Verteidigungsministerium wurde. Es heißt nur, daß Drambjan zu viel freie Zeit gehabt habe, weil sein Anwaltsbüro wegen seiner fehlenden Estnisch-Kenntnisse weitgehend unbeschäftigt war und er dadurch auch noch seine Wohnung in Maardu bei Tallinn verlor, für welche er einen Kredit ausgenommen hatte. Sein Vater sei wohl Professor in Moskau gewesen und er selbst ein heißblütiger Armene mit osteuropäischen Lebensgewohnheiten, der nicht einmal um Hilfe gebeten habe, als er wegen mangelnder Einnahmen hungerte.
Dienstag, August 09, 2011
Rotermann in Tallinn 2003
Wer heute diesen Gebäudekomplex besucht, wird einen durchsanierten Stadtteil vorfinden. Inklusive alter Bausubstanz. Ein Rückblick von hanspoldoja. Das Rotermann-Viertel.
Freitag, August 05, 2011
Reisewetter
Also - wer dem weitgehend verregneten deutschen Sommer dieses Jahr entgehen möchte - sogar wettermäßig konnte Tallinn gut mithalten.
Und was schreibt die deutschsprachige Presse? "Ein perfekter Städtetrip" diagnostiziert die Neue Züricher Zeitung. "Der Norden leuchtet" befindet ZEIT ONLINE. Viele Berichte gab es auch kürzlich zur U20-Leichtatlethik EM in Tallinn.
Wenn nun noch die ewig wiederkehrende Zelebrierung von angeblichen Heldentaten früherer SS-Soldaten nicht wäre, könnte das Bild und der Sommer in Estland gänzlich ungetrübt sein. Mitten im Tallinner Kultursommer wird nun auch wieder Krieg gespielt (Stichwort "ERNA Feldzug", eine Spezialeinheit die gegen die Rote Armee eingesetzt wurde und 1941 das Vorrücken Nazideutschlands unterstützte). Kriegswettspiele, wenigstens ohne Beteiligung aus Deutschland. Aber das Nachstellen und gleichzeitiges Idealisieren von Kriegsereignissen ist sowohl eine merkwürdige Sportart wie auch nicht ins Bild einer fröhlichen Kulturhauptstadt passend.