"Der erste Film in der Sprache der Seto," so war "TAARKA" angekündigt, der 2008 in Tartu uraufgeführt wurde und inzwischen - mit viel Glück - ab und zu auch auf internationalen Festivals zu sehen ist. Interessierte Filmfans seien vorgewarnt: denjenigen, die diesen Film gesehen und erlebt hat, bleiben nachher mehr Fragen als vorher.
TAARKA ist kein "Dokumentarfilm" in dem Sinne, dass ein Sprecher mit sonorer Stimme aus dem Hintergrund Situationen und geschichtliche Zusammenhänge erklärt. Die Geschichte der Darja Pisumaa (so die Seto-Sängerin Hilana Taarka mit bürgerlichem, estnischem Namen) wird zwar erzählt, indem einzelne Sequenzen auch geschichtliche Daten einblenden und sich darauf beziehen. 1856 geboren und 1933 gestorben stellt "Taarka" sowohl für die Seto-Kultur (dessen Angehörige im Deutschen auch "Setukesen" genannt werden) als auch als Figur einer "starken Frau" einen Mythos dar.
Vielleicht hat ein Film dann einen Sinn, wenn den Zuschauern auch nachher noch Bilder und Eindrücke im Gedächtnis bleiben. Wie die junge Taarka in einem Tümpel Kontakt zu einer Kröte sucht, wie sie am Rande eines Dorffestes ihre erste Romanze mit einem Dorfjungen erlebt. Oder wie sie später gemeinsam mit ihrer Tochter zu Hochzeiten oder anderen Festlichkeiten ins Dorf kommt und den Widerwillen vor allem der Frauen des Dorfes ihr gegenüber zu überspielen versucht. Oder die Kette, das letzte Stück Schmuck was der jungen Frau blieb, die dann im herunterhängenden Zweig eines Baumes hängen bleibt und später, viel später von der eigenen Tochter wiedergefunden wird. Oder vielleicht wie eine kleine Gruppe Seto-Frauen in Festtracht auf einem unendlich klein scheinenden hölzernen Schiff hinüber nach Helsinki gebracht werden, um vor einer erlesenen finnischen Zuhörerschar am Ende dem finnischen Präsident (und striktem Antialkoholiker) eine Flasche Schnaps als "Liederöl" zu empfehlen.
Wie nah liegen Geburt und Tod, Schicksal und Glück, Ehre und Schande beieinander in diesem Film! Ein Kind wird gezeugt, aber nur eine kurze Szene lang darf deutlich werden, dass die junge Taarka es nicht ernähren wird können, und der Kindsvater Abstand nimmt. Schon in der nächsten Szene wird es begraben. Viele andere Szenen im Film geben vor allem den schweren Dorfalltag aus der Sicht der Frauen wieder - nicht nur der Alltag ist schwer, auch die Eskapaden und Anmaßungen der Männer müssen erduldet und erlitten werden.
Eine meiner Lieblingsszenen: die Ankunft der "finnischen Wissenschaftler" im Seto-Dorf. "Ich werde sie erforschen!" Eine junge blonde Frau mit hoch gesteckten Haaren tänzelt nervös zwischen den Dorfbewohnern umher (in Hosen!). Ihr Wissenschafts-Kollege, ausgerüstet mit vielen neuartigen Meßinstrumenten und Aufnahmegeräten, ihm scheint es wohl zu gelingen, einer Frau wie Taarka endlich mehr Geltung zu verschaffen im Dorf. Aber da lebt die Seto-Sängerin schon abgeschieden außerhalb (im Moor?). Sie gewinnt den Wettstreit mit den anderen: es bedarf nicht nur stundenlangen Singens, nein vor allem sind die angereisten Ethnologen an in Gedichtzeilen gefasste Beschreibungen des Alltagslebens der Seto interessiert. Und in diesen Disziplinen ist Taarka unschlagbar.
Eindrucksvolle Schauspieler, die Kameraführung und die Einstellungen, auch die Filmmusik tragen dazu bei, dass dieser Film ein paar Bilder im Kopf hinterlässt. "Sing, Taarka, sing" diese Aufforderung bedeutete in vielen Phasen ihres Lebens für die eigentliche historische Figur und Filmheldin die einzige Möglichkeit auch für ihr Überleben zu sorgen. Denn mit ihrer direkten Art, ihrer Suche nach echtem Gefühl, nach Liebe und Lebenslust, war sie alles andere als geschaffen für ein abgeschiedenes Dörflerinnenleben. Am Ende wird klar: Ich habe es geschafft, mein Leben. Wenn dieses möglich ist, wie blass wird da vieles andere angeblich Unmögliche?
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen