Donnerstag, April 07, 2022

Brückendiskussion

Die "Võidu sild" ist eine in den Jahren 1952 bis 1957 gebaute Stahlbetonbrücke über den Fluss Emajõgi, im Zentrum von Estlands zweitgrößter Stadt Tartu gelegen. Ihren Namen erhielt die Brücke im Jahr 1965, auf Beschluss des Stadtrats, zum 20. Jahrestag des Sieges im Großen Vaterländischen Krieg. Denn "Võidu sild" heißt übersetzt "Brücke des Sieges". 

Die Diskussion im Stadtrat von Tartu, die Brücke anders zu benennen, geht schon einige Jahre. Aber als Tourist/in könnten wir uns zunächst fragen: Was für eine Brücke ist das? Reiseinfoseiten wie "Estland-com" erwähnen eine Reihe von Brücken: Bogenbrücke (Kaarsild), Steinbrücke (Kilvisild), Marktbrücke (Turusild), Engelsbrücke (Ingisild), Teufelsbrücke (Kuradisild). Aber "Siegesbrücke"? "Visittartu" beschreibt ausführlich die Bogenbrücke. Aus touristischer Sicht wird die Brücke der Durchfahrtsstraße, die einfach die Riga-Straße mit der Narva-Straße verbindet, am wenigsten hervorgehoben.

Seit 1926 gab es auch schon eine "Freiheitsbrücke" in Tartu: nach der sowjetischen Besetzung 1940 schon einmal kurzzeitig in "Siegesbrücke" umbenannt, überstand sie den Krieg nicht (von den abziehenden Deutschen zerstört). Am Ende des 2.Weltkriegs waren in Tartu alle Brücken zerstört. Die heutige "Freiheitsbrücke" wurde 2009 eröffnet.

Nun sucht Tartu einen neuen Namen für die bisherige "Siegesbrücke" (tartu.ee / err) "Wir können einen solche Sieg nicht weiter feiern", heißt es (tartu.ee). Bis zum 10. April sollen nun Namensvorschläge gesammelt werden. Ein witziger (wohl nicht ernst gemeinter) Vorschlag war auf dem Portal "Lugejakiri" (Eigenwerbung: "die seriöseste Nachrichtenquelle in Estland") zu lesen: um Geld und Mühe zu sparen, solle nur der erste Buchstabe ausgetauscht werden - statt "Võidu sild" (Siegesstraße) nun "Sõidu sild" (Fahrstraße). 

Ein Thema, dass vielleicht aber nur symbolisch die andauernde Diskussion um die russische Haltung zu Putins Angriffskrieg wiederspiegelt. Nikolai Põdramägi, Arzt und Mitglied der Zentrumspartei in Tartu, sprach sich nicht nur gegen die Umbenennung der Brücke aus, sondern bezeichnete auch die gegenwärtigen Vorgänge in der Ukraine als "Bürgerkrieg" (err). Als Reaktion distanzierte sich nicht nur die Zentrumspartei von ihm, sondern auch die Ärztekammer (Postimees / delfi)

1 Kommentar:

  1. Danke für den interessanten Artikel. Da ich praktisch veranlagt und von Hause aus sparsam bin,außerdem auch humorvoll und faul, spricht mich der Vorschlag von Lugejakiri sehr an 😁

    AntwortenLöschen