Am 30. August 2021 ist in Estland die Wahl eines Präsidenten oder einer Präsidentin angesagt. Ob
Kersti Kaljulaid, Estlands seit 2016 amterende Präsidentin, die Chance auf eine zweite Amtszeit bekommen wird, scheint bisher unklar.
Kaljulaid wurde am 28. Juni von UN-Generalsekretär António Guterres zur Beautragten für Kinder- und Frauenrechte ernannt (Kampagne Every Woman Every Child). Das bedeutet aber offenbar nicht, dass Kaljulaid sich bereits jetzt nach Alternativjobs umsieht (err). Drei Aufgaben benannte Kaljulaid selbst für die neue Tätigkeit, und eine der drei scheint typisch estnisch: Förderung von digitalen Innovationen.
"Wenn es nach meinem Herzen geht," äußerte Kaljulaid, "Ich habe die Unterstützung der estnischen Öffentlichkeit gespürt, das hilft natürlich. Aber da die Rolle einer Präsidentin derart zeremoniell ausgelegt ist, fast wie eine Art staatlicher Philosoph, da kann frischer Wind gut sein," stellt sie nachdenklich fest (err). Aber sie würde niemals nein sagen, wenn es darum gehe dem Land zu dienen, betont sie. Sie werde aber abwarten, ob sich die im Parlament vertretenen Parteien einigen können, und vorerst keinerlei Wahlkampagnen in eigener Sache initiieren.
Bisher haben sich die estnischen Sozialdemokraten und die Partei "Eesti 200" pro Kaljulaid geäußert. Bereits im März hatte sich Tarmo Soomere, Meereswissenschaftler, Mathematiker und Präsident der estnischen Akademie der Wissenschaften, selbst zum Präsidentschaftskandidaten ausgerufen, unterstützt von der regionalen Wahlliste "Roheline Saku Vald". Bisher kam aber noch von keiner der im Parlament vertretenen Parteien Unterstützung. Außer einem Statement gegen die Gaspipeline "North-Stream2" und seine Warnungen vor den Folgen des Klimawandels sind von ihm bisher keine politischen Äußerungen bekannt. Gemäß aktuellen Umfragen wird Soomere besonders von Sympathisanten der konservativen "Isamaa" (Vaterlandspartei) unterstützt.
Henn Põlluaas, Kandidat der "Estnischen Konservativen Volkspartei" EKRE und Ex-Parlamentspräsident, hofft offenbar darauf, dass in Kürze auf jeden Fall jemand anderes das Präsidentenamt besetzen wird. Ein Gesetz zu einem Informationsystem zur Speicherung biometrischer Daten, dass kürzlich im Parlament beraten wurde, kommentierte Põlluaas so: "Wir hoffen, dass der Präsident sein Veto einlegen wird."(err) Inzwischen erklärte Präsidentin Kaljulaid das Gesetz für nicht verfassungswidrig, traf sich aber auch mit EKRE-Parteichef Martin Helme um sich die Bedenken gegen das Gesetz anzuhören (err).
In den estnischen Medien halten sich Gerüchte, dass Ex-Ministerpräsident Jüri Ratas doch selbst Präsidentschaftskandidat werden möchte. Einige Umfragen sahen ihn zuletzt auch zumindest gleichauf mit Kaljulaid. Von Seiten der Amtsinhaberin war Ratas wegen seiner Koalition mit der rechtskonservativen EKRE mehr als einmal offene Mißbilligung entgegengeschlagen. Regierungschefin Kaja Kallas meint, die Zentrumspartei sei zuletzt von zu vielen Skandalen betroffen gewesen, als dass sie einen eigenen Kandidaten aufstellen könne (err). Eine Kandidatur von Ratas gilt jedoch gerade wegen seiner guten Kontakte zu den Rechtspopulisten als aussichtsreich. EKRE-Vorsitzender Martin Helme hatte Ratas bereits als "gut geeignet" bezeichnet (err).
Für die Präsidentschaftswahl ist eine Zweidrittelmehrheit im Parlament nötig, also 68 der 101 Stimmen. Die amtierende Regierungskoalition aus Reformpartei und Zentrumspartei verfügt im Parlament über 59 Sitze. Erreicht im ersten Wahlgang kein/e Kandidat/in die Mehrheit, wird eine Wahlversammlung (valimiskogu) einberufen, die sich zusammensetzt aus den Abgeordneten des Parlaments plus Vertreter/innen der kommunalen Gebietskörperschaften.