Elektronische Wählersuche
Bald wieder in der Praxis: Estnisches E-Voting |
Die Zentrumspartei allerdings verstand diese Untersuchungsergebnisse offenbar anders, und begab sich zweitweise in Wahlkämpfen auch schon mal auf die Seite der E-Voting-Gegner.
Jung, neureich, Internet?
Zu Anfang, bei den Wahlen 2005, schien das noch anders zu sein. 9.800 Menschen beteiligten sich damals per Internet, und die Annahme schien zu stimmen, dass es eher junge, gut ausgebildete und gut verdienende Leute waren. Zumeist Männer. E-Voting, nur ein Spielzeug der Eliten? Inzwischen ist aber klar, dass es zwar bei den Parteien unterschiedlich viele E-Voting-Fans gibt, aber seit den Wahlen 2009 sind E-Wähler in allen Gesellschaftsschichten zu finden, auf dem Dorf wie in der Stadt, bei Alten wie bei Jungen. "Heute könnten wir nicht einmal vorhersagen, wer am E-Voting teilnehmen wird und wer nicht," sagt Solvak. Allerdings steige die Wahrscheinlichkeit der Teilnahme mit der Entfernung zwischen Wohnort und Wahlkabine, so die Wissenschaftler. Untersuchungen zufolge leben in Estland 70% der Wahlberechtigen in einer Entfernung von nicht weiter als eine halbe Stunde Lauf-Entfernung zum Wahllokal.Bei den letzten Wahlen war bereits jeder Dritte ein E-Wähler (2005 jeder 50ste). Wenn ein Este oder eine Estin erst einmal beim E-Voting teilgenommen habe steige die Wahrscheinlichkeit, dass der Weg zum Wahllokal beim nächsten Mal eingespart bleibe. Zudem steigere die bloße Möglichkeit der Kontrolle, ob die eigene Stimme auch gezählt worden sei, das Vertrauen ins System, meinen zumindest Solvak und Vassil.
Gegner des E-Voting in Estland habe sich auch längst positioniert. Eine Kritikergruppe unter Beteiligung des US-Wissenschaftlers J. Alex Halderman unterhält eine eigene Internetseite, und präsentierte 2014 eigene Untersuchungen, die beweisen sollen das estnische System sei manipulierbar. Auch in der deutschsprachigen Fachpresse wurde das diskutiert (siehe "Heise online"), auch die estnische Wahlkommission verfasste eine Stellungnahme dazu. Wie das estnische Wahlamt betonte, nehme man jede Kritik sehr ernst. Man sei aber selbst der Auffassung beim E-Voting inzwischen ein höheres Maß an Sicherheit erreicht zu haben als bei Wahlen mit Papier. An der kritischen Studie seien keine neuen Arten möglicher Bedrohungen festgestellt worden, und zudem sei es nicht realistisch, dass die beschriebenen Bedrohungen realistisch von jemand durchgeführt werden könnten. Selbst von der Webseite der Kritiker könne nicht entnommen werden, wo konkret das estnische System Schwächen habe. Auch die Veröffentlichung der kritischen Statements ausgerechnet zwei Tage vor den Europawahlen habe keinen Grund nahegelegt, diese Wahlen abzusagen.
Ein Slogan der E-Voting-Gegner von "www.papierwahl.at" |
Reparaturarbeiten am estnischen Image
Nun ja, auch die estnischen Regierungsbehörden sind PR-Spezialisten. Für die estnische Tourismuswerbung scheint die Sache einfach: insgesamt sei allein durch die E-Wähler der Parlamentswahlen von 2011 insgesamt soviel Zeit eingespart worden dass es 11.000 Arbeitstagen entspreche, oder umgerechnet 504.000 Euro an Mindestlöhnen. Demokratie als Zeitersparnis? Wählen Sie per Internet, und Sie sparen Zeit sich mit Politik zu beschäftigen? Hmm - ein Vorbild am deutschen System mit Zehntausenden freiwilliger Wahlhelfer/innen will sich Estland offenbar nicht nehmen.
Leider wurde aber die Wahlbeteiligung durch die elektronischen Neuerungen nicht gesteigert - sagt zum Beispiel der in den USA tätige Politologe Meelis Kitsing, der für das "Journal of Politics" auch Matthew Hindman's Buch "Die Mythen der digitalen Demokratie" rezensierte. Kitsing meint unter anderem, dass der Theorie der Befürworter zufolge durch den Einsatz des Internets die Wahlbeteiligung um 10-15% steigen sollte - dem wiederspreche aber die Realität.
Neuigkeiten zur Internetsicherheit in Estland gibt es (englisch) auch hier:
Estonian Cyber Security News Aggregator