Mittwoch, Oktober 15, 2025

Grau bleibt grau

In Estland haben Regionalwahlen begonnen. Bis zum 19. Oktober können Estinnen und Esten noch ihre Stimme abgeben - seit dem 13. Oktober bereits online. In 78 estnischen Landkreisen und Städten werden 1.684 Mitglieder der Gemeinderäte gewählt. Doch einiges ist neu diesmal: für Menschen mit sogenannten "grauen Pässen" (ohne estnische Staatsangehörigkeit) wird es die letzte Möglichkeit zur Teilnahme bedeuten. Und wer weder Staatsbürger/in Estlands noch eines EU-Landes ist, ist bereits diesmal außen vor. (ORF)

Nun sagen einige: Personen dieser Gruppen hätten sowieso nur in geringem Prozentsatz bisher an Kommunalwahlen in Estland teilgenommen. Aber wird das diesmal anders sein? Als eine Art "Protestwahl"? In der estnischen Presse waren sogar Spekulationen zu lesen, Wahlmüdigkeit bei den Estinnen und Esten könnte zu einem "vene mäss" ("russischen Aufstand") führen (Postimees)

In Tallinn gibt es acht Wahlbezirke. Um Sitze in den Gemeinderäten zu erreichen, gilt eine 5%-Hürde.  Landesweit sind es insgesamt knapp mehr als eine Millon Wahlberechtigte. 
In Lasnamäe, einem Stadtteil von Tallinn, gibt es diesmal - aus den genannten Gründen - 13.687 Wahlberechtigte weniger als bisher. Aus diesem Bezirk werden 14 Personen für die 79 Sitze im Stadtrat Tallinn kommen - zwei weniger als bisher. Anfang Oktober übertrug der russischsprachige TV-Sender ETV+ eine Wahlkampfdebatte in Lasnamäe - in russischer Sprache. (ERR)

Lasnamäe ist sein Image als angebliches "Russenghetto" nie richtig losgeworden, das zeigte auch diese Diskussion - zumindest wird genau darüber noch hitzig gestritten. Einige Stellungnahmen betonten, dass junge Leute in Lasnamäe inzwischen auch Estnisch verstehen und sprechen, allerdings seien es erst 23%, die Estnisch auch zu Hause privat sprechen. Die Schulen stellen gerade auf estnischsprachigen Unterricht um - allerdings gibt es auch einen Mangel an Lehrkräften. (ERR) Und über die generelle Abschaffung oder Beibehaltung von Kindergartengebühren wird in Tallinn immer noch gestritten. 

Wie steht es um die estnischen Parteien? Einerseits werden Kommunalwahlen meist von lokalen Themen bestimmt, in jeder Gemeinde anders. 

 In Tallinn scheint Zentrums-Kandidat Mihhail Kõlvart klar vor dem Amtsinhaber und Sozialdemokrat Jevgeni Ossinovski zu liegen - und das wird auch auf starke Unterstützung durch Wähler nicht-estnischer Herkunft zurückgeführt. 

Und auch das Ergebnis der Kommunalwahl in Narva wird interessant sein: dort soll schon jetzt 36% der Bevölkerung kein Wahlrecht mehr haben, weil sie eben weder estnische Staatsbürger/innen noch EU-Bürger/innen sind (ERR). Bürgermeisterin ist gegenwärtig Katri Raik, Ex-Innenministerin und Mitglied der Sozialdemokraten, die aber mit eigener Liste antritt ("Katri nimekiri"). Sie stellt sich zum Beispiel vor, dass Narva 2037 Europäische Kulturhauptstadt werden könnte. Als großes Problem wurde allerdings festgestellt, dass viele junge Leute Narva verlassen, um anderswo zu leben und zu arbeiten. Ein anderes aktuelles Thema ist der Neubau einer Militärbasis nahe Narva. 

Bürgermeisterin Raik sagte in einem Interview: "Narva wird wohl nie eine Stadt werden, wo alle Estnisch sprechen. Wenn die Dinge gut laufen, wird hier Estnisch, Russisch und Englisch in Zukunft geprochen." Andere Kandidatinnen und Kandidaten wünschen sich eher einen kompletten Neuanfang in Narva, und fürchten auch um den Status einer Industriestadt. Wie viele der Einwohner/innen pro-Kreml eingestellt sein könnten, dazu kursieren verschiedene Zahlen. Manche schätzen diese Bevölkerungsgruppe auf 15%. Und zwei Wahloptionen stehen in Narva auf dem Wahlzettel, die sich offen Kreml-freundlich positioniert haben (ERR). Es verpricht sozusagen ein "langes Wochenende" zu werden.