Dass Estland elektronisch wählt dürfte inzwischen bekannt sein. Personalausweis mit Chipkarte, mobiles Lesegerät und individueller Zugang sorgen dafür, dass seit 2005 auch bei Wahlen die digitale Stimmabgabe möglich ist.
Im Ganzen wird es gern "E-Vote", oder auch Englisch "I-Vote" genannt, und die estnischen Infoseiten dazu dürften inzwischen allgemein bekannt sein. Der Slogan dazu ist einfach: "In Estland sind 99 % der öffentlichen Dienste rund um die Uhr online verfügbar. Lediglich bei Hochzeiten und Scheidungen sind E-Dienste nicht möglich – nur dafür muss man noch das Haus verlassen." (e-estonia). Dieses digitale System sei "sicher, bequem und flexibel", so heißt es. Resultat, in den Worten der Macher, ist "die wahrscheinlich beste digitale Gesellschaft der Welt". (e-estonia)
Große Worte. Immerhin einer der Gründe, warum inzwischen weniger Deutsche das Land Estland mit Island verwechseln. Aber der estnische Leitsatz "Jeder ist Eigentümer seiner persönlichen Daten" erzeugt in Deutschland keinesfalls automatisches Verständnis. Misstrauen ist angesagt - nicht speziell gegenüber Estland, sondern, was demokratische Wahlen betrifft, speziell gegenüber einem Vorgang, wo der Mensch nicht mehr persönlich an einem bestimmten Ort erscheinen muss, damit etwas passiert. Wie sehen "elektronische Wahlkabinen" aus?
Doch Estland macht zumindest eines konsequent vor: noch bevor Deutschland so richtig nur über die möglichen Konsequenzen eines "E-Voting" nachgedacht hat, geht Estland schon einen Schritt weiter. Die neueste Ankündigung ist jetzt: nach "E-Vote" kommt "M-Vote"."M-Voting wird die Wahlbeteiligung sicher steigern", davon ist Doris Põld überzeugt, Geschäftsführerin des Estnischen Verbandes für Informationstechnologie und Telekommunikation (err). "Wahlen mobil möglich machen" ist der neue Wahlspruch. Ziel: bis zu den Wahlen zum Europäischen Parlament 2024 soll "Wahl per Smartphone" möglich werden. Ergebnis wären dann "die ersten M-Wahlen der Welt", so Põld.
Ein paar Schritte müssen noch gemacht werden, um dieses Ziel erreichen zu können. Einige estnische Wahlgesetzgebungen müssen entsprechend angepasst werden. Erreicht werden soll auch "Technologieneutralität", also die Verwendung von Authentifizierungs- und digitaler Signatursystemen gleicher Sicherheit, unabhängig von der Bauart der jeweiligen Geräte. Zu "Smart-ID" kommt dann "Mobile-ID" als Identifizierungsprozess hinzu.
Bei den vergangenen Wahlen in Estland soll es schon vorgekommen sein, dass Wählerinnen und Wähler es bereits versucht hätten, per Handy abzustimmen. Frustriert hätten sie feststellen müssen, dass dies nicht geht - und als Resultat hätten manche den gesamten PC in den Urlaub mitgenommen, nur um an den Wahlen teilnehmen zu können.Ob alle estnischen Parteien diesen Schritt unterstützen werden, wird abgewartet werden müssen. Die Ergebnisse der vergangenen Parlamentswahlen waren in sofern interessant, dass zunächst die konventionellen Stimmen ausgezählt wurden, am Schluß kamen die "E-Votes" dazu. Dadurch wurde zum Bespiel deutlich, dass Anhänger der regierenden Reformpartei von Ministerpräsidentin Kallas sehr viel mehr zur Nutzung des "E-Vote" neigen als zum Beispiel die Wähler der rechtskonservativen EKRE. Da Ministerpräsidentin Kallas ja momentan genug mit dem Skandal um die Russland-Geschäfte ihres Mannes zu tun hat, wäre es aus dieser Sicht wahrscheinlich willkommen, wenn auch in den estnischen Medien wieder mehr über den estnischen E-Fortschritt berichtet würde ...