Freitag, April 27, 2018

Gemälde als Wandschmuck

Als kürzlich ein Gemälde des estnischen Künstlers Tiit Pääsuke aus dem Verwaltungsgebäude der Bezirksregierung in Järva (Zentralestland) verschwand, bemerkte es lange Zeit niemand. Wegen Reparaturen im Rathaus wurde es zunächst in einer Garage zwischengelagert, und offenbar war es reine Glücksache, dass es dort nicht zu Schaden kam. Schließlich verschwand das Bild ganz aus der Garage - und tauchte später bei Kunsthändlern wieder auf. In diesem Fall immerhin ein Bild mit einem Marktwert von 10.000 Euro. - Dieser Fall warf die Frage auf: welche estnischen Kunstwerke hängen eigentlich noch anderswo in öffentlichen Gebäuden?

Quelle:
kunstikeskus.ee
Schnell stellte sich heraus: zu vielen davon, was so an den Wänden in Rathäusern, Behörden und Kulturhäusern hängt, gibt es wenig oder gar keine Dokumentation - in ganz Estland nicht. Schenkungen, Ankäufe? In Järva wurden jetzt Mitarbeiter/innen der Finanzverwaltung beauftragt, um den Bestand genau zu erfassen. Inzwischen steht fest, dass in verschiedenen Gebäuden des Bezirks Järva insgesamt sechs Kunstwerke hängen, die bisher nicht erfasst wurden. Auch ein Ölgemälde von Ants Viidalepp wurde gefunden, ein Motiv aus einem Roman von Anton Tammsaare darstellend - Eigentümer unbekannt.

Aktuelle Ausstellung in der
Kunsthalle Tallinn
Im estnischen Fernsehen wurden Vermutungen laut, dass manche Beamte, aufgefordert die Bestände zu erfassen, bisher eben nur das nachgezählt und kontrolliert haben, was in den offiziellen Listen enthalten war. Außerdem wurde festgestellt, dass viele wertvolle Gemälde sich in Gebäuden befinden, die öffentlich leicht zugänglich und unbewacht sind. Ein Gemälde von Heiti Polli, dessen Werke unter anderem auch in der Tretjakow-Galerie in Moskau ausgestellt sind, hing sogar direkt an der Eingangstür der Stadtverwaltung von Paide. (ERR)

Ist das noch eine Hinterlassenschaft der sowjet-estnischen Verhältnisse? Schließlich gibt es viele Künstler/innen, die keine Verzeichnisse darüber führen, wo ihre Werke gerade sind. Manche Malerin und mancher Maler mag auch im Hochgefühl der estnischen Unabhängigkeitsbewegung gedacht haben: ich male für Estland! Oder, weniger optimistische Variante: mal ein Werk dort hingeben, wo man Rechnungen nicht mehr bezahlen kann. Der Kunst in Estland ist zumindest zu wünschen, dass es übersichtlich bleibt.

Mittwoch, April 11, 2018

Das Apfelrätsel

Alte Livländer Apfelsorten: Ananas, Gravensteiner oder...
... Suisleper (rechts) - in einem Gartenbaubuch von 1884
Zuerst sah ich dieses Gemälde - vermutlich von dem Lithograph und Verleger Emil Hochdanz (1816-1885) gemalt. Als sehr naturgetreue Abbildung in einem alten Buch, Neuberts deutschem Garten-Magazin, erschienen 1884. Bildtitel: "Drei Apfelsorten, welche in der Nähe von Riga in grossen Quantitäten gezüchtet werden".  Das macht doch neugierig! Einer der drei hat einen ungewöhnlichen Namen: "Suisleper".

Ein Hofgärtner namens Kuphaldt soll sie den Buchautoren (nach München) per Post geschickt haben - 10 Apfelsorten zur Probe, dazu auch Zweige. Drei davon gelangen hier im Buch zur ausführlicheren Darstellung: der Ananasapfel, der Liefländer Gravensteiner, und eben dieser "Suisleper". Ein Apfel ähnlich dem "Cuisinot", urteilt der Buchautor, von ausgiebiger Röte - aber ohne weitere, nähere Beschreibung. Vielleicht kam damals ein Teil dieser Kuphaldtschen Postsendung zumindest dem Botanischen Garten in München zu Gute.

Wer heute den "Suisleper" sucht, findet ihn noch unter "seltene Apfelsorten", aber oft mit der Angabe "Herkunft unbekannt". Erst auf der "Biologie-Seite" fand ich Näheres - ein Zufall, dass der Betreiber ebenfalls aus München kommt? Hier ist unter dem Stichwort "Suislepper" folgende Notiz zu finden: "Ein Hr. Goegginger bezog die Sorte um 1907 vom Gut Suislepp, Dorpat (Estland), wohin sie aus Frankreich gekommen sein soll". Eine estnische Apfelzüchtung also? Beide Quellen, aus den Jahren 1884 wie 1907, geben die Herkunft aus Livland an, soviel kann als Zwischenergebnis festgehalten werden.
Abb. aus: "Eesti mõisaportaal"

Das zugehörige Gut (zum Apfel) zu finden, bereitet in Zeiten des Internets ebenfalls wenig Schwierigkeiten. "Vana-Suislepa mõis" - der Gutshof Alt-Suislepp" - befindet sich in der Gemeinde Tarvast bei Viljandi in Südwest-Estland. Paul I., Sohn Katherina der Großen und 1796-1801 Kaiser von Rußland, schenkte Suislep Baron Mengden, der das Gut (Neu-Suislep) 1799 für 28.000 Rubel an  Carl von Krüdener weiterverkauft haben soll. Alt-Suislepp blieb Staatseigentum.

Aber war der "Suisleper" eine Ausnahme? Ein seltener Fall eines nordischen Apfelsorte?  Es ist schließlich eine alte Ausgabe der "Baltischen Wochenschrift" (Ausgabe von 1876) in der sich eine ausführliche Übersicht zu den damals in Livland angebauten Apfelsorten befindet. Dort findet sich ein Bericht zur "Dorpater Obstausstellung" des Septembers 1875; hier sind die einheimischen Äpfel eingeteilt in Calvillen, Schlotteräpfel, Gulderlinge, Rosenäpfel, Taubenapfel, Rambour, Reinetten,  Streiflinge, Spitzäpfel und Plattäpfel - insgesamt 158 verschiedene Sorten! Unser "Suisleper" befindet sich dabei unter den Rosenäpfeln einsortiert, und auch die Abstammung von Sorten aus Frankreich ("Pfirsichroter Sommerapfel") wird hier bestätigt.
Aus Anlaß der genannten Obstausstellung besichtigte eine speziell hierfür gebildete Kommission 180 Gärten persönlich und erfassten 1800 Obstbäume, indem dort kleine Blechschildchen angebracht wurden. Sollte jemand also heute, beim Spaziergang in der Gegend um Tartu, Viljandi oder Otepää, solch ein Blech noch finden - dann muss es wohl ein alter "õunapuu" sein.