Nachdem seit Ende der 1980iger Jahre in Estland eigentlich jede und jeder glaubte, Edgar Savisaar, der kantige, stets präsente Mann, der aus der nordwest-estnischen Gegend von Harku stammt, sei für das politische Leben in der kleinen Republik ebenso unvermeidlich wie einst diejenigen von Ungern-Sternberg für das Dorfleben eben dieser Gemeinde. Nun, die Ungern-Sternbergs sind in Deutschland gerade eben in Person einer
jungen Nachrichtensprecherin wieder aufgetaucht - während es um die Sympathisanten Saavisaar's fast so einsam wird als hätte sich dieser auf eine Insel (estn. = saar) zurückgezogen. Oder er sei - wie Zyniker es sehen - an den Ort seiner Geburt zurückgekehrt (= ins Gefängnis).
|
Ausschnitt aus einem Werbespot des "Keskerakond": Savisaar aller Orten ... |
Eigentlich hatten sich die meisten Menschen in Estland bereits damit abgefunden, dass der Ex-Historiker, Philosoph, sozialistischer Parteigenosse, Wirtschaftsminister, Ministerpräsident, Bürgermeister und dreifach getraute Gatte wohl auf absehbare Zeit aus dem die Szene bestimmenden Leben nicht wegzudenken wäre - Rücktritte, Entschuldigungen oder Rückzug ins Privatleben stand eigentlich nicht auf der Agenda von Estlands erstem Edgar.
Nun kommt es aber "knüppeldick", wie man gerne sagt. Einerseits erhebliche Gesundheitsprobleme, zuletzt eine
Operation an den Herzkranzgefäßen, und vor einigen Wochen bereits eine schwere Infektion, die letztlich zur Amputation eines Teiles des rechten Beines führte. Savisaar war danach zwar als Stadtbürgermeister zurückgekehrt, aber am 22.September mit der Anklage durch den estnischen Generalstaatsanwalt (
Prokuratuur) konfrontiert, der ihn nicht nur in mehreren Korruptionsfällen für ausreichend verdächtig hält, sondern auch seine Entfernung aus dem Bürgermeisteramt fordert. Es soll um Vorgänge aus den Jahren 2014 und 2015 gehen und um Gelder - Summen jenseits der 100.000 Euro - die illegal auf Savisaar's Konto landeten. Ebenso angeklagt sind Ex-Politiker Vello Reiljan sowie fünf weitere estnische Geschäftsleute. Die Vorgänge sind wohl so fundiert, dass einige Medienschlagzeilen bereits lauten: "Savisaar's letzte Schlacht" (
bbn).
Parteivorsitzender, Parlamentarier, Bürgermeister: der 65-jährige Politiker, der bereits einige Skandale fast unbeschadet überlebte, galt als ebenso politikbesessen wie rastlos. Nun fürchten aber bereits Parteifreunde der von Savisaar geführten Zentrumspartei (
Keskerakond) bereits eine Ausweitung der Anklage wegen Bestechlichkeit auch gegen die Partei selbst.
Allerdings noch wagt sich niemand aus der (parteipolitischen) Deckung: am 29.November steht der Parteikongress der "Zentrumspartei", aber auch von den bisher für wahrscheinlich gehaltenen Nachfolgern, Jüri Ratas oder Kadri Simson, hat niemand bisher eine Kandidatur bekannt gegeben: gegen Savisaar möchte niemand antreten. Und wer weiß: manche hoffen immer noch auf dieselbe Dynamik wie bisher immer: Savisaar kehrte immer zurück.
Auch das Wahlergebnis zum Stadtrat zeigte wie dominant Savisaar bisher war: von etwa 115.000 Wahlberechtigten, die beim vergangenen Mal Zentrumspartei wählten, offenbarten sich allein 40.000 als Savisaar-Unterstützer, 25.000 persönliche Stimmen vereinigte der Politiker auf sich. Edgar Savisaar weist bisher alle Anschuldigungen des Gerichts als völlig unbegründet zurück und erklärte seine Unschuld.