Die Fußballbegeisterung wird wohl nach diesem Erfolg weiter zunehmen. Hier die Zusammenfassung des estnischen Fernsehens:
Estland - Uruguay
Und michathecook war in der A Le Coq-Arena dabei.
Und jetzt ernst am Dienstag. Euro-Qualifikation gegen Serbien. Es folgt
Konstanin Vassiljevs zweiter Streich innerhalb weniger Tage. Diesmal 84. Minute.
Estland liegt jetzt einen Punkt hinter Slowenien und Serbien in der Tabelle. Italien führt.
Ist Estland eigentlich "baltisch"? Die estnische Sprache ist ja dem Finnischen ähnlich (finno-ugrisch), und das sogenannte "Baltikum" ist sowieso ein Behelfsbegriff ohne Grundlage. Noch viel zu wenig ist in Deutschland bekannt über Kultur und Geschichte, über Politik und Gesellschaft in Estland. Die jungen Europäer in Deutschland und Estland werden die Zukunft prägen! Wir rufen auf zur Diskussion.
Sonntag, März 27, 2011
Montag, März 21, 2011
Nun doch Wahlrechtsdiskussion in Estland
Der amerikanisch-estnische Politologe Rein Taagepera hat schon früher das estnische Wahlsystem als Maschine zur Enttäuschung der Wähler bezeichnet. Auf seien Vorschlag ging bei den letzten Wahlen zum Obersten Sowjet 1990 die Anwendung des irischen Single Transferable Vote zurück.
Diskussionen über Wahlsysteme gab es seit dem Zweiten Weltkrieg viele. Und unter Wahlrechtexperten gilt das irische System als eines der gerechtesten der Welt. Es handelt sich eigentlich um eine Mehrheitswahl in vergleichsweise kleinen Wahlkreisen mit etwa fünf Mandaten, doch in Folge der komplizierten Verrechnung ist das Ergebnis ziemlich proportional. Das estnische Wahlsystem ist ein proportionales in größeren Wahlkreisen von knapp über zehn Mandaten. Doch die Schwierigkeit beruht darin, daß nur etwa ein Zehntel bis ein Fünftel der Mandate von Kandidaten direkt erworben werden, während die restlichen Sitze durch Kompensationsmandate besetzt werden. Ein sehr kompliziert klingendes, aber in Wahrheit doch nicht so kompliziertes Verfahren der sogenannten Vorzugsstimme, das die Esten von Finnland übernommen haben. Ohne mathematisch in die Tiefe gehen zu wollen, könnte man es so formulieren: Jene Stimmen, die ein Kandidat für seinen Sitz zu viel bekommen hat, werden in Irland nach Wunsch des Wählers auf dem Wahlzettel weiterverteilt. In Estland aber gehen diese Stimmen als Kompensation an von den Parteien der erfolgreichen Kandidaten festgelegte Listen.
War in den vergangenen 20 Jahren dies keine große Diskussion wert in Estland, so gehen jetzt gleich mehrere Sozialwissenschaftler an die Öffentlichkeit: darunter natürlich Rein Taagepera, aber auch Juhan Kivirähk, Martin Mölder und der in England arbeitende Kollege Allan Sikk.
Alle sagen gleichermaßen, daß diese Kompensationsmandate abgeschafft werden sollten. Kivirähk ist der Ansicht, daß die Verteilung der überschüssigen Stimmen nicht auf nationaler Ebene, sondern gleich im Wahlkreis erfolgen sollte. Das aber würde nichts daran ändern, daß Politiker plötzlich ins Parlament gewählt würden, für die der Bürger nicht gestimmt hat, daß populäre Politiker wie eine Lokomotive für ihre Parteifreunde wirken.
Mölder geht bei der Diskussion noch etwas weiter und bezieht das Parteiensystem ein. Er weist auf die Fragezeichen eines Parlamentes hin, welches auf den ersten Blick den Eindruck einer konsolidierten Parteienlandschaft hinterläßt, in dem es Konservative, Liberale, Sozialdemokraten und ein Zentrum gibt. Deren Parteichef Edgar Savisaar gilt als Paria der estnischen Politik, wie auch in diesem Blog mehrfach berichtet wurde. Auf diese Weise, so Mölder, bleibt nur eine Koalitionsmöglichkeit übrig – das neo-liberale Bündnis aus der Reformpartei und der Vaterlandsunion.
Mölder läßt allerdings offen, wo er die direkte Verbindung zwischen Wahl- und Parteiensystem sieht. Sicher ist nur eins, Savisaar war immer der König der Direktstimmen, will sagen, das bestehende Wahlrecht begünstigt durch seine Popularität in der einen Hälfte der Bevölkerung die Zentrumspartei seit jeher. Mölder vergißt, daß rein biologisch eines Tages die Tage des Edgar Savisaar gezählt sein werden. Und was dann aus der Zentrumspartei wird, ist einstweilen völlig offen. Bereits 1995 hat sein Rücktritt nach dem Aufzeichnungsskandal zwar Andra Veidemann zur Abspaltung getrieben, aber wer erinnert sich heute noch an sie? Savisaar kehrte bald fulminant wieder und wurde nach dem Zusammenbruch von Res Publica von Andrus Ansip als Koalitionspartner benötigt.
Mölder prognostiziert zu den nächsten Wahlen das Erscheinen neuer Parteien. Er glaube nicht an eine Rückkehr der Volksunion oder der Grünen, die im März den Wiedereinzug ins Parlament nicht geschafft hatten. Nachdem die Reformpartei selbst 1994 die letzte der genuin neuen Parteien (Allan Sikk) war, stellt sich die Frage, welches politische Spektrum in den Augen der Wähler in Estland nicht abgedeckt ist oder wo es eine glaubwürdigere politische Alternative geben könnte. Und wer sollte diese führen?
Sicher ist, daß das estnische Wahlsystem ähnlich dem deutschen dem Wähler wenig Möglichkeit gibt, die personelle Zusammensetzung der Fraktionen zu bestimmen, ganz im Gegensatz zu den lose gebundenen Listen im benachbarten Lettland. In Estland wiederum können wenigstens theoretisch Einzelkandidaten Erfolg haben, was Mölder seinerseits im Interesse einer nicht zu großen Zersplitterung des Parlaments eher als Ausnahme denn als Regel bezeichnet.
Diskussionen über Wahlsysteme gab es seit dem Zweiten Weltkrieg viele. Und unter Wahlrechtexperten gilt das irische System als eines der gerechtesten der Welt. Es handelt sich eigentlich um eine Mehrheitswahl in vergleichsweise kleinen Wahlkreisen mit etwa fünf Mandaten, doch in Folge der komplizierten Verrechnung ist das Ergebnis ziemlich proportional. Das estnische Wahlsystem ist ein proportionales in größeren Wahlkreisen von knapp über zehn Mandaten. Doch die Schwierigkeit beruht darin, daß nur etwa ein Zehntel bis ein Fünftel der Mandate von Kandidaten direkt erworben werden, während die restlichen Sitze durch Kompensationsmandate besetzt werden. Ein sehr kompliziert klingendes, aber in Wahrheit doch nicht so kompliziertes Verfahren der sogenannten Vorzugsstimme, das die Esten von Finnland übernommen haben. Ohne mathematisch in die Tiefe gehen zu wollen, könnte man es so formulieren: Jene Stimmen, die ein Kandidat für seinen Sitz zu viel bekommen hat, werden in Irland nach Wunsch des Wählers auf dem Wahlzettel weiterverteilt. In Estland aber gehen diese Stimmen als Kompensation an von den Parteien der erfolgreichen Kandidaten festgelegte Listen.
War in den vergangenen 20 Jahren dies keine große Diskussion wert in Estland, so gehen jetzt gleich mehrere Sozialwissenschaftler an die Öffentlichkeit: darunter natürlich Rein Taagepera, aber auch Juhan Kivirähk, Martin Mölder und der in England arbeitende Kollege Allan Sikk.
Alle sagen gleichermaßen, daß diese Kompensationsmandate abgeschafft werden sollten. Kivirähk ist der Ansicht, daß die Verteilung der überschüssigen Stimmen nicht auf nationaler Ebene, sondern gleich im Wahlkreis erfolgen sollte. Das aber würde nichts daran ändern, daß Politiker plötzlich ins Parlament gewählt würden, für die der Bürger nicht gestimmt hat, daß populäre Politiker wie eine Lokomotive für ihre Parteifreunde wirken.
Mölder geht bei der Diskussion noch etwas weiter und bezieht das Parteiensystem ein. Er weist auf die Fragezeichen eines Parlamentes hin, welches auf den ersten Blick den Eindruck einer konsolidierten Parteienlandschaft hinterläßt, in dem es Konservative, Liberale, Sozialdemokraten und ein Zentrum gibt. Deren Parteichef Edgar Savisaar gilt als Paria der estnischen Politik, wie auch in diesem Blog mehrfach berichtet wurde. Auf diese Weise, so Mölder, bleibt nur eine Koalitionsmöglichkeit übrig – das neo-liberale Bündnis aus der Reformpartei und der Vaterlandsunion.
Mölder läßt allerdings offen, wo er die direkte Verbindung zwischen Wahl- und Parteiensystem sieht. Sicher ist nur eins, Savisaar war immer der König der Direktstimmen, will sagen, das bestehende Wahlrecht begünstigt durch seine Popularität in der einen Hälfte der Bevölkerung die Zentrumspartei seit jeher. Mölder vergißt, daß rein biologisch eines Tages die Tage des Edgar Savisaar gezählt sein werden. Und was dann aus der Zentrumspartei wird, ist einstweilen völlig offen. Bereits 1995 hat sein Rücktritt nach dem Aufzeichnungsskandal zwar Andra Veidemann zur Abspaltung getrieben, aber wer erinnert sich heute noch an sie? Savisaar kehrte bald fulminant wieder und wurde nach dem Zusammenbruch von Res Publica von Andrus Ansip als Koalitionspartner benötigt.
Mölder prognostiziert zu den nächsten Wahlen das Erscheinen neuer Parteien. Er glaube nicht an eine Rückkehr der Volksunion oder der Grünen, die im März den Wiedereinzug ins Parlament nicht geschafft hatten. Nachdem die Reformpartei selbst 1994 die letzte der genuin neuen Parteien (Allan Sikk) war, stellt sich die Frage, welches politische Spektrum in den Augen der Wähler in Estland nicht abgedeckt ist oder wo es eine glaubwürdigere politische Alternative geben könnte. Und wer sollte diese führen?
Sicher ist, daß das estnische Wahlsystem ähnlich dem deutschen dem Wähler wenig Möglichkeit gibt, die personelle Zusammensetzung der Fraktionen zu bestimmen, ganz im Gegensatz zu den lose gebundenen Listen im benachbarten Lettland. In Estland wiederum können wenigstens theoretisch Einzelkandidaten Erfolg haben, was Mölder seinerseits im Interesse einer nicht zu großen Zersplitterung des Parlaments eher als Ausnahme denn als Regel bezeichnet.
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Sonntag, März 20, 2011
Jägala juga
Eindrücke vom Spätwinter in Estland bei Mait Jüriado. Hier eine Aufnahme. Der März hat noch wenig Anzeichen des Frühlings.
Samstag, März 12, 2011
Zweifel an eletronischer Stimmabgabe
Der Tartuer Informatik-Student Paavo Pihelgas verlangt die Annulierung der elektronisch abgebenen Stimmen bei der Parlamentswahl vom 6. März. Er sagt, er habe sich zu interessieren begonnen, wie das System funktioniert, nachdem der Projektleiter Tarvi Martens öffentlich behauptet hatte, die elektronische Wahl sei sicherer als die auf dem Wahlzettel.
Welche Schwierigkeiten mit die Sicherheit der Daten im Netz verbunden sind, ist in vielen Fällen und verschiedenen Ländern umfangreich diskutiert worden. Und selbstverständlich läßt sich eine Wahl auch fälschen, wenn Zettel in einer Urne gezählt werden oder es gibt Schwierigkeiten mit dem Verständnis dessen, was der Wähler wählen wollte. Normalerweise müssen unklare Wahlzettel in den Kasten der ungültigen Stimmen fallen. Das ist bei einem Kreuzchen wie in Deutschland nicht so schwierig zu erkennen. In Lettland gibt es nicht nur einen Zettel, sondern für jede Partei einen eigenen, so daß jeder Wahlumschlag mit nur EINEM Wahlzettel klar und gültig ist – übrigens auch dann, wenn der Wähler irgendwelche unflätigen Bemerkungen darauf hinterläßt.
In Estland aber trägt der Wähler die Nummer eines Kandidaten mit dem Kugelschreiber ein. Hier kommt also noch das Handschriftproblem hinzu. 4 oder auch 2 und 7 können manchmal ziemlich ähnlich aussehen.
Pihelgas versuchte nun während der Probewahl die Software mit einem eigenen Programm zu stören, was Martens angeblich beim Einloggen bemerkt haben will. Der von dem Studenten programmierte Virus blockiert nach Aussagen des jungen Informatikers die Stimmabgabe für einen bestimmten Kandidaten, und wenn der Wahlvorgang im Netz abgeschlossen ist, erhält der fragliche Politiker die Stimme nicht. Der Wähler bemerkt dies nicht, weil der Virus eine nachgeahmte Seite auf dem Bildschirm anzeigt. Martens gibt zu, das schwächste Glied beim elektronischen Wählen sei der private Computer des Wählers. Die Wahlkommission habe schließlich keine Möglichkeit zu prüfen, ob mit dem Computer, von dem aus ein Wähler sich in das System einloggt, alles in Ordnung ist.
Und so argumentierten auch einige weitere vom estnischen Fernsehen befragten Spezialisten, die darauf hinwiesen, daß eine solche Wahlmanipulation von der Verbreitung des Viruses abhänge. Der Behauptung, die Verbreitung eines Virus koste Zeit, mag man noch mit Skepsis begegnen, richtig aber ist sicher, daß jeder Wähler seine eigene Wahl trifft und jeder Rechner speziell durch eine Virus-Attacke angegriffen werden müsse.
Pihelgas schlägt vor, daß mit der Stimmabgabe eine Art Paßwort verschickt wird, welches vom Rechner der Wahlkommission an den Wähler zurückgeschickt wird, der dann prüfen kann, ob die Codes übereinstimmen. Martens entgegnet dem, daß damit auch wieder Schwierigkeiten verbunden seien und es sowieso niemals absolute Sicherheit gebe.
Welche Schwierigkeiten mit die Sicherheit der Daten im Netz verbunden sind, ist in vielen Fällen und verschiedenen Ländern umfangreich diskutiert worden. Und selbstverständlich läßt sich eine Wahl auch fälschen, wenn Zettel in einer Urne gezählt werden oder es gibt Schwierigkeiten mit dem Verständnis dessen, was der Wähler wählen wollte. Normalerweise müssen unklare Wahlzettel in den Kasten der ungültigen Stimmen fallen. Das ist bei einem Kreuzchen wie in Deutschland nicht so schwierig zu erkennen. In Lettland gibt es nicht nur einen Zettel, sondern für jede Partei einen eigenen, so daß jeder Wahlumschlag mit nur EINEM Wahlzettel klar und gültig ist – übrigens auch dann, wenn der Wähler irgendwelche unflätigen Bemerkungen darauf hinterläßt.
In Estland aber trägt der Wähler die Nummer eines Kandidaten mit dem Kugelschreiber ein. Hier kommt also noch das Handschriftproblem hinzu. 4 oder auch 2 und 7 können manchmal ziemlich ähnlich aussehen.
Pihelgas versuchte nun während der Probewahl die Software mit einem eigenen Programm zu stören, was Martens angeblich beim Einloggen bemerkt haben will. Der von dem Studenten programmierte Virus blockiert nach Aussagen des jungen Informatikers die Stimmabgabe für einen bestimmten Kandidaten, und wenn der Wahlvorgang im Netz abgeschlossen ist, erhält der fragliche Politiker die Stimme nicht. Der Wähler bemerkt dies nicht, weil der Virus eine nachgeahmte Seite auf dem Bildschirm anzeigt. Martens gibt zu, das schwächste Glied beim elektronischen Wählen sei der private Computer des Wählers. Die Wahlkommission habe schließlich keine Möglichkeit zu prüfen, ob mit dem Computer, von dem aus ein Wähler sich in das System einloggt, alles in Ordnung ist.
Und so argumentierten auch einige weitere vom estnischen Fernsehen befragten Spezialisten, die darauf hinwiesen, daß eine solche Wahlmanipulation von der Verbreitung des Viruses abhänge. Der Behauptung, die Verbreitung eines Virus koste Zeit, mag man noch mit Skepsis begegnen, richtig aber ist sicher, daß jeder Wähler seine eigene Wahl trifft und jeder Rechner speziell durch eine Virus-Attacke angegriffen werden müsse.
Pihelgas schlägt vor, daß mit der Stimmabgabe eine Art Paßwort verschickt wird, welches vom Rechner der Wahlkommission an den Wähler zurückgeschickt wird, der dann prüfen kann, ob die Codes übereinstimmen. Martens entgegnet dem, daß damit auch wieder Schwierigkeiten verbunden seien und es sowieso niemals absolute Sicherheit gebe.
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Freitag, März 11, 2011
Eesti muutub Saksamaaks
Estland wird zu Deutschland, das war ein Witz, den ich vor über zehn Jahren mit einem estnischen Freund regelmäßig bemüht habe, wenn wir gemeinsam in Riga unterwegs waren und die Veränderungen Estlands und Lettlands miteinander verglichen.
Daß in Estland alles besser sei, haben die Letten schon oft gehört, und die Deutschen lesen regelmäßig in der Presse von diesem erfolgreichsten der drei baltischen Länder: Wählen im Internet und so, alles ganz fortschrittlich. Das prägt das Bild eines Landes in Stabilität und Zufriedenheit. Gewiß, die Finanzkrise hat dem Image ein paar Kratzer verpaßt, aber immerhin konnte sich Estland sogar beim Rettungsschirm für Lettland beteiligen.
Nun hat Estland ein neues Parlament gewählt und das Ergebnis ist wirklich bemerkenswert vor dem Hintergrund, daß Estland trotz aller Anstrengungen einiger Kreise, von eben diesem Faktum ablenken, ein Transformationsland ist, in welchem vor 20 Jahren der Übergang von Diktatur zur Demokratie und von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft stattfand.
Typisch für die politischen Landschaften dieser Staaten war über zwei Jahrzehnte deren politische Unübersichtlichkeit. Da die künstlich nivellierten Gesellschaften einfach keine Ahnung hatten, was konservativ, liberal oder sozialdemokratisch ist und es die entsprechenden Milieus zur Bildung solcher Parteien auch gar nicht gab, orientierte sich das Volk mehr an Personen als Parteien, die sich zur Vermeidung dieses negativ belasteten Begriffes prosaische bis populistische Namen gaben oder einfach einen Spruch irgendwo ausliehen – Neue Zeit, Recht und Gerechtigkeit oder Für Vaterland und Freiheit wären solche Beispiele. Gerne erinnert man sich nach der Spaltung auch an das große und das kleine Bier in Polen (das ist kein Scherz!). Das Volk, an pateranalistische Strukturen gewöhnt, gab oftmals nur zu gerne die Verantwortung nach oben ab, weshalb politische Parteien von Politologen der mangelnden Mitglieder wegen gerne ebenso prosaisch Telefonzellen- oder Taxiparteien nannten – in Anspielung auf mögliche Versammlungsräume.
Typisch war für die Parlamente des post-sozialistischen Raumes eine kaleidoskopische Entwicklung, Spaltungen, Vereinigungen, Parteiwechsel und so weiter, so daß dem Beobachter leicht schwindelig werden konnte. Oft schafften Regierungen keine Legislaturperiode lang, sich an der Macht zu halten, geschweige denn Wahlen zu gewinnen.
Und jetzt kommen die Esten. Im neuen Parlament sitzen nur noch vier Fraktionen. Die bislang als Minderheitsregierung amtierende Koalition wurde trotz aller Härten der Wirtschaftskrise satt bestätigt. Ministerpräsident Andrus Ansip ist nunmehr seit bald sechs Jahren im Amt und hat bereits zwei Wahlen überstanden. So etwas ist zwischen Estland und Bulgarien in den osteuropäischen Staaten nach dem Fall des eisernen Vorhanges überhaupt noch nie vorgekommen.
Die Reformpartei des Regierungschefs rechnet trotzdem mit Koalitionsverhandlungen, die sich etwa einen Monat hinziehen werden. Die Begründung für diese im Vergleich mit früheren Regierungen längere Zeit? 2007 habe niemand damit gerechnet, daß die Regierung die ganze Legislaturperiode durchhalten werde. Davon gehe man dieses Mal aber aus, weshalb die Verhandlungen aufmerksamer geführt werden müßten.
Aber welche Stolpersteine gibt es für zwei Partner, die es nach der Wahl zügig für logisch erklärt haben, die Zusammenarbeit fortsetzen zu wollen? Die konservative IRL (Union aus der Vaterlandsunion und der früheren Saubermannpartei Res Publica) hat etwas mehr zulegen können, als die Reformpartei, bleibt aber trotzdem der kleinere Partner. Vor vier Jahren wäre der frühere, zweimalige Ministerpräsident Maart Laar, der fließend deutsch spricht, gerne Außenminister geworden. Das war schwierig, weil der Reformpartei-Politiker Urmas Paet das Amt besetzte und sich dort als Nachwuchspolitiker Ansehen erworben hatte. Es ist anzunehmen, daß so wie Laar damals auf jegliches Ministeramt verzichtete auch dieses Mal die Regierungsbildung durch solche Ambitionen nicht verhindert wird.
Im vier Parteien umfassenden neuen Parlament gibt es auch irgendwie keine Alternative. Die Reformpartei könnte noch alternativ mit Savisaars Zentrumspartei koalieren, was aber aus inhaltlichen Gründen genauso wie eine Zusammenarbeit mit den erstarkten Sozialdemokraten unwahrscheinlich ist. Nach deren innerparteilichen Querelen im Herbst 2009 sind die 19 Sitze für den neuen Vorsitzenden Sven Mikser ein großer Erfolg, den sie wohl auch dem Zerfall der Volksunion zu verdanken haben. Diese Partei um frühere Kader der kommunistischen Partei war vor allem auf dem lande beliebt. Aber zusammen mit der Reformpartei käme dieses ungleiche Gespann auf 52 Mandate, nur eines mehr als die absolute Mehrheit – zu unsicher. Und dann könnten sich rein mathematisch noch drei Partner gegen die Reformpartei zusammenschließen, was aus inhaltlichen Gründen vielleicht sogar noch eher ginge als gegen die persönlichen Animositäten. Mit Edgar Savisaar wurde in den vergangenen 20 Jahren nur in zwei Ausnahmefällen koaliert.
Weil Savisaar das weiß, hat er jetzt für eine Regierungsbeteiligung seiner Partei angeboten, vom Amt des Parteivorsitzenden zurückzutreten. Das hatte er nach seinem Aufzeichnungsskandal 1995 schon einmal gemacht, um später fulminant zurückzukehren.
In Estland, so sieht es aus, bleibt die nächsten vier Jahre alles beim Alten. Offen ist wohl einzig die Frage, was aus der sich in der Opposition gerne sozialdemokratisch gebenden Zentrumspartei, die in der Vergangenheit vor allem russische Wähler ansprach und ins Parteiensystem ohne ethnische Partei integrierte, in Zukunft wird, wenn Savisaar einst schon aus Altersgründen nicht mehr da sein wird.
Daß in Estland alles besser sei, haben die Letten schon oft gehört, und die Deutschen lesen regelmäßig in der Presse von diesem erfolgreichsten der drei baltischen Länder: Wählen im Internet und so, alles ganz fortschrittlich. Das prägt das Bild eines Landes in Stabilität und Zufriedenheit. Gewiß, die Finanzkrise hat dem Image ein paar Kratzer verpaßt, aber immerhin konnte sich Estland sogar beim Rettungsschirm für Lettland beteiligen.
Nun hat Estland ein neues Parlament gewählt und das Ergebnis ist wirklich bemerkenswert vor dem Hintergrund, daß Estland trotz aller Anstrengungen einiger Kreise, von eben diesem Faktum ablenken, ein Transformationsland ist, in welchem vor 20 Jahren der Übergang von Diktatur zur Demokratie und von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft stattfand.
Typisch für die politischen Landschaften dieser Staaten war über zwei Jahrzehnte deren politische Unübersichtlichkeit. Da die künstlich nivellierten Gesellschaften einfach keine Ahnung hatten, was konservativ, liberal oder sozialdemokratisch ist und es die entsprechenden Milieus zur Bildung solcher Parteien auch gar nicht gab, orientierte sich das Volk mehr an Personen als Parteien, die sich zur Vermeidung dieses negativ belasteten Begriffes prosaische bis populistische Namen gaben oder einfach einen Spruch irgendwo ausliehen – Neue Zeit, Recht und Gerechtigkeit oder Für Vaterland und Freiheit wären solche Beispiele. Gerne erinnert man sich nach der Spaltung auch an das große und das kleine Bier in Polen (das ist kein Scherz!). Das Volk, an pateranalistische Strukturen gewöhnt, gab oftmals nur zu gerne die Verantwortung nach oben ab, weshalb politische Parteien von Politologen der mangelnden Mitglieder wegen gerne ebenso prosaisch Telefonzellen- oder Taxiparteien nannten – in Anspielung auf mögliche Versammlungsräume.
Typisch war für die Parlamente des post-sozialistischen Raumes eine kaleidoskopische Entwicklung, Spaltungen, Vereinigungen, Parteiwechsel und so weiter, so daß dem Beobachter leicht schwindelig werden konnte. Oft schafften Regierungen keine Legislaturperiode lang, sich an der Macht zu halten, geschweige denn Wahlen zu gewinnen.
Und jetzt kommen die Esten. Im neuen Parlament sitzen nur noch vier Fraktionen. Die bislang als Minderheitsregierung amtierende Koalition wurde trotz aller Härten der Wirtschaftskrise satt bestätigt. Ministerpräsident Andrus Ansip ist nunmehr seit bald sechs Jahren im Amt und hat bereits zwei Wahlen überstanden. So etwas ist zwischen Estland und Bulgarien in den osteuropäischen Staaten nach dem Fall des eisernen Vorhanges überhaupt noch nie vorgekommen.
Die Reformpartei des Regierungschefs rechnet trotzdem mit Koalitionsverhandlungen, die sich etwa einen Monat hinziehen werden. Die Begründung für diese im Vergleich mit früheren Regierungen längere Zeit? 2007 habe niemand damit gerechnet, daß die Regierung die ganze Legislaturperiode durchhalten werde. Davon gehe man dieses Mal aber aus, weshalb die Verhandlungen aufmerksamer geführt werden müßten.
Aber welche Stolpersteine gibt es für zwei Partner, die es nach der Wahl zügig für logisch erklärt haben, die Zusammenarbeit fortsetzen zu wollen? Die konservative IRL (Union aus der Vaterlandsunion und der früheren Saubermannpartei Res Publica) hat etwas mehr zulegen können, als die Reformpartei, bleibt aber trotzdem der kleinere Partner. Vor vier Jahren wäre der frühere, zweimalige Ministerpräsident Maart Laar, der fließend deutsch spricht, gerne Außenminister geworden. Das war schwierig, weil der Reformpartei-Politiker Urmas Paet das Amt besetzte und sich dort als Nachwuchspolitiker Ansehen erworben hatte. Es ist anzunehmen, daß so wie Laar damals auf jegliches Ministeramt verzichtete auch dieses Mal die Regierungsbildung durch solche Ambitionen nicht verhindert wird.
Im vier Parteien umfassenden neuen Parlament gibt es auch irgendwie keine Alternative. Die Reformpartei könnte noch alternativ mit Savisaars Zentrumspartei koalieren, was aber aus inhaltlichen Gründen genauso wie eine Zusammenarbeit mit den erstarkten Sozialdemokraten unwahrscheinlich ist. Nach deren innerparteilichen Querelen im Herbst 2009 sind die 19 Sitze für den neuen Vorsitzenden Sven Mikser ein großer Erfolg, den sie wohl auch dem Zerfall der Volksunion zu verdanken haben. Diese Partei um frühere Kader der kommunistischen Partei war vor allem auf dem lande beliebt. Aber zusammen mit der Reformpartei käme dieses ungleiche Gespann auf 52 Mandate, nur eines mehr als die absolute Mehrheit – zu unsicher. Und dann könnten sich rein mathematisch noch drei Partner gegen die Reformpartei zusammenschließen, was aus inhaltlichen Gründen vielleicht sogar noch eher ginge als gegen die persönlichen Animositäten. Mit Edgar Savisaar wurde in den vergangenen 20 Jahren nur in zwei Ausnahmefällen koaliert.
Weil Savisaar das weiß, hat er jetzt für eine Regierungsbeteiligung seiner Partei angeboten, vom Amt des Parteivorsitzenden zurückzutreten. Das hatte er nach seinem Aufzeichnungsskandal 1995 schon einmal gemacht, um später fulminant zurückzukehren.
In Estland, so sieht es aus, bleibt die nächsten vier Jahre alles beim Alten. Offen ist wohl einzig die Frage, was aus der sich in der Opposition gerne sozialdemokratisch gebenden Zentrumspartei, die in der Vergangenheit vor allem russische Wähler ansprach und ins Parteiensystem ohne ethnische Partei integrierte, in Zukunft wird, wenn Savisaar einst schon aus Altersgründen nicht mehr da sein wird.
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Lauristin nach Savisaars Vorbild?
Die politische Aktivistin aus den Zeiten der Volksfront, Marju Lauristin, erklärte ihren Verzicht auf das gewonnene Parlamentsmandat. Sie sei in der Wissenschaft nützlicher.
Die 1940 geborene Marju Lauristin ist emeritierte Professorin der Universität Tartu. Dort hat sie im sozialwissenschaftlichen Bereich gelehrt und publiziert. Sie war Mitbegründerin der Volksfront und der Sozialdemokraten und für diese im ersten Kabinett von Mart Laar Sozialministerin.
Daß Lauristin nun lieber an wissenschaftlichen Konferenzen teilnimmt als an Plenarsitzungen, mag man ihr aus Altergründen verzeihen. Ihre Argumentation hingegen ist fade. Sie habe eigentlich überhaupt nur kandidiert, damit mit ihrem Namen die Partei möglichst gut abschneide. Eine solche Irritierung der Wähler ist sonst beim Tallinner Bürgermeister und früheren Volksfront-Premier Edgar Savisaar üblich gewesen, der zwei Jahrzehnte eigentlich immer überall kandidiert hat, im estnischen Wahlsystem sehr viele Personenstimmen „abgefischt“ hat, um sich dann aus seinen Wahlsiegen das höchste Amt herauszupicken. Im Tallinner Stadtrat regiert seine Zentrumspartei mit absoluter Mehrheit, während auf nationaler Ebene trotz ansehnlicher Erfolge die anderen Parteien immer eine Anti.Koalition gegen ihn gebildet haben.
Die 1940 geborene Marju Lauristin ist emeritierte Professorin der Universität Tartu. Dort hat sie im sozialwissenschaftlichen Bereich gelehrt und publiziert. Sie war Mitbegründerin der Volksfront und der Sozialdemokraten und für diese im ersten Kabinett von Mart Laar Sozialministerin.
Daß Lauristin nun lieber an wissenschaftlichen Konferenzen teilnimmt als an Plenarsitzungen, mag man ihr aus Altergründen verzeihen. Ihre Argumentation hingegen ist fade. Sie habe eigentlich überhaupt nur kandidiert, damit mit ihrem Namen die Partei möglichst gut abschneide. Eine solche Irritierung der Wähler ist sonst beim Tallinner Bürgermeister und früheren Volksfront-Premier Edgar Savisaar üblich gewesen, der zwei Jahrzehnte eigentlich immer überall kandidiert hat, im estnischen Wahlsystem sehr viele Personenstimmen „abgefischt“ hat, um sich dann aus seinen Wahlsiegen das höchste Amt herauszupicken. Im Tallinner Stadtrat regiert seine Zentrumspartei mit absoluter Mehrheit, während auf nationaler Ebene trotz ansehnlicher Erfolge die anderen Parteien immer eine Anti.Koalition gegen ihn gebildet haben.
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Montag, März 07, 2011
Kein "weiter so" in Estland
Auf den ersten Blick sieht das Wahlergebnis in Estland recht langweilig aus: die beiden Regierungsparteien "Reformpartei" (Eesti Reformierakond) und "Pro Patria & Respublika" (IRL) verzeichnen beide leichte Stimmengewinne und kommen auf voraussichtlich 33 bzw. 23 Sitze im 101 Sitze umfassenden estnischen Parlament. Die estnischen Grünen und die "Rahvaliit" (Volksunion) fielen beide von vorher 7,1% der Stimmen aus dem Parlament raus, so dass nun als Opposition noch die Zentrumspartei (Keskerakond, 26 Sitze) und die Sozialdemokraten (Sotsiaaldemokraatlik Erakond, 19 Sitze) bleiben.
Auf den zweiten Blick wäre die estnische Regierung gut beraten, wenigstens in manchen Punkten nicht einfach so weiterzumachen wie bisher. Denn obwohl Andrus Ansip inzwischen der am längsten amtierende Regierungschef aller EU-Staaten ist, wäre er schlecht beraten einfach selbstherrlich alle vergangenen politischen Maßnahmen als gut und richtig zu erklären und in die Zukunft fortzuschreiben. Denn einerseits lassen die bis vor der Wahl noch 40% unentschlossenen Wählerinnen und Wähler keine tiefe Überzeugung in Bezug auf ihre Bindung an bestimmte Parteien erkennen. Und andererseits wurde vieles an Einschränkungen und einseitigen Maßnahmen nur deshalb akzeptiert - wenn es denn nicht die Wahl des "kleineren Übels" war - weil angeblich einerseits die weltweite Wirtschaftskrise und andererseits die Einführung des Euro es erforderte.
Angenommen, die estnischen Wahlberechtigten hätten die zwei Regierungsparteien genau wegen ihrer oft wiederholten Slogans gewählt - also strikte Sparpolitik, Lohnkürzungen und Ähnliches - dann ist dennoch nicht zu erwarten, dass selbst diese Wähler/innen langfristig allein damit zufrieden sein können. Dafür ist die Arbeitslosigkeit und die Abwanderung ins Ausland einfach zu hoch - sowohl in einigen benachteiligten Regionen wie auch besonders unter den jungen Leuten. Offen bleiben wichtige Fragen der Integration, der Bildungspolitik und der sozialen Absicherung für die breite Masse der Bevölkerung. Auch nach der Einführung des Euro ist die Inflationsgefahr nicht gebannt. Und obwohl es für Unbeteiligte von außen manchmal so aussieht: nicht alle Estinnen und Esten arbeiten in einer Bank oder für Internet-Startupfirmen.
Die Umweltprobleme Estlands sind - erst recht wenn man sogar noch ein neues, teures Atomkraftwerk selbst bauen will - auch damit nicht beseitigt, dass sich die estnischen Grünen offenbar mit Sprüchen wie "Sparpolitik ist auch gut für die Umwelt" unbeliebt gemacht haben.
Und angenommen weiterhin, dass die vielen Unentschlossenen einerseits die skandalumwitterte Zentrumspartei für nicht wählbar hielten (obwohl deren Chef Edgar Savisaar in absoluten Zahlen die meisten Stimmen aller Kandidaten erhielt!), und die Sozialdemokraten im stark personalisierten estnischen Wahlsystem sich vielleicht noch nicht als ausreichend profiliert darstellten - es bleibt das Gefühl, der Prozentsatz derjenigen die sich eine vernünftige differenzierte Lösung für die tatsächlichen Probleme des Landes wünschen ist ziemlich hoch, und das beschränkt sich nicht auf Anhänger der Regierung.
Auffällig auch, wie erfreut die EU-Länder einschließlich Deutschland auf das estnische Wahlergebnis reagieren. Ist das vielleicht Teil des Drucks, auf den Ansip zu reagieren müssen glaubte? Estland anders als Griechenland im europäischen Denken verortet zu wissen: Politik als Imageproblem? Auch das wird nicht reichen, um sogar nur bei den Anhängern der eigenen Partei positive Zukunftsvisionen zu erzeugen.
Immerhin zwei Punkte wurden erreicht: erstens wurde mit steigender Wahlbeteiligung der mögliche Eindruck verwischt, große Teile der Bevölkerung könnten - da sie unter der gegenwärtigen Politik zu leiden haben - etwas ganz anderes wollen als die zur Wahl stehenden Parteien darstellen. Gut, über 30% Nichtwähler wären immer noch bedauerlich, wenn sie sich wirklich für keinerlei politische Aktion interessieren würden - aber das ist nicht anzunehmen. Und zweitens wirken 15,4% Wahlbeteiligung per Internet (E-Vote) nun offenbar so, dass sich die deutschen Medien veranlasst sehen zu vermelden, in Estland sei dies "erstmals" möglich gewesen (siehe verschiedene deutschen Medienberichte). Es ist schon seit Jahren bei verschiedenen Wahlen möglich gewesen - und inzwischen offenbar schon so erprobt, dass darüber jetzt nicht nur irgendwelche Computerspezialisten unter dem Motto "demnächst für Hacker freigegeben" berichten.
Estland hat gewählt - und ist dennoch auf dem Weg nach neuen Lösungen.
das vorläufige Ergebnis der Parlamentswahlen in Estland |
Die Umweltprobleme Estlands sind - erst recht wenn man sogar noch ein neues, teures Atomkraftwerk selbst bauen will - auch damit nicht beseitigt, dass sich die estnischen Grünen offenbar mit Sprüchen wie "Sparpolitik ist auch gut für die Umwelt" unbeliebt gemacht haben.
Und angenommen weiterhin, dass die vielen Unentschlossenen einerseits die skandalumwitterte Zentrumspartei für nicht wählbar hielten (obwohl deren Chef Edgar Savisaar in absoluten Zahlen die meisten Stimmen aller Kandidaten erhielt!), und die Sozialdemokraten im stark personalisierten estnischen Wahlsystem sich vielleicht noch nicht als ausreichend profiliert darstellten - es bleibt das Gefühl, der Prozentsatz derjenigen die sich eine vernünftige differenzierte Lösung für die tatsächlichen Probleme des Landes wünschen ist ziemlich hoch, und das beschränkt sich nicht auf Anhänger der Regierung.
Auffällig auch, wie erfreut die EU-Länder einschließlich Deutschland auf das estnische Wahlergebnis reagieren. Ist das vielleicht Teil des Drucks, auf den Ansip zu reagieren müssen glaubte? Estland anders als Griechenland im europäischen Denken verortet zu wissen: Politik als Imageproblem? Auch das wird nicht reichen, um sogar nur bei den Anhängern der eigenen Partei positive Zukunftsvisionen zu erzeugen.
Immerhin zwei Punkte wurden erreicht: erstens wurde mit steigender Wahlbeteiligung der mögliche Eindruck verwischt, große Teile der Bevölkerung könnten - da sie unter der gegenwärtigen Politik zu leiden haben - etwas ganz anderes wollen als die zur Wahl stehenden Parteien darstellen. Gut, über 30% Nichtwähler wären immer noch bedauerlich, wenn sie sich wirklich für keinerlei politische Aktion interessieren würden - aber das ist nicht anzunehmen. Und zweitens wirken 15,4% Wahlbeteiligung per Internet (E-Vote) nun offenbar so, dass sich die deutschen Medien veranlasst sehen zu vermelden, in Estland sei dies "erstmals" möglich gewesen (siehe verschiedene deutschen Medienberichte). Es ist schon seit Jahren bei verschiedenen Wahlen möglich gewesen - und inzwischen offenbar schon so erprobt, dass darüber jetzt nicht nur irgendwelche Computerspezialisten unter dem Motto "demnächst für Hacker freigegeben" berichten.
Estland hat gewählt - und ist dennoch auf dem Weg nach neuen Lösungen.
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Wahl
Donnerstag, März 03, 2011
Kaffeesatzlesen vor der estnischen Wahl
Es wurde an dieser Stelle bereits berichtet, daß Ministerpräsident Andrus Ansip trotz divereser rhetorischer Lapsūs während der letzten Jahre auch mit Blick auf die katastrophale Situation im südlichen Nachbarland Lettland von vielen Menschen in Estland geachtet oder als das kleinere Übel betrachtet wird. Das seine Reformpartei am Sonntag auf dem ersten Platz landet, scheint ebenso gut wie sicher wie die Wahrscheinlichkeit, daß der neue Regierungschef der alte sein wird. Die derzeit nach dem Austritt der Sozialdemokraten regierende Minderheitsregierung könnte sogar eine Mehrheit erreichen.
Daß die Umfragewerte in den letzten Wochen teilweise Wechselhaft waren, ist dem Umstand geschuldet, daß der Chef der Zentrumspartei, das Enfant terrible der estnischen Politik, Edgar Savisaar neuerlich in einen Skandal wegen seiner Verbindungen nach Rußland und von dort angenommenen Geldes verstrickt ist. Eigentlich wenig überraschend, plädiert dieser Politiker doch schon lange für bessere Kontakte zu großen Nachbarn und wird im Inland besonders von russischstämmigen Wählern bevorzugt. Dem estnischen Parteiensystem erweist er damit eigentlich den Dienst, daß nach 1995 nie wieder eine ethnische Partei ins Parlament gewählt wurde.
Die von der Tageszeitung Postimees be Turu-uuringute AS bestellten Zahlen sagen der Reformpartei des Ministerpräsidenten 28% voraus, gefolgt – dank des Skandals mit nunmehr etwas größerem Abstand – von der Zentrumspartei mit 25%, 14% für die Union aus Vaterland und Res Publica (IRL in der einheimischen Abkürzung) sowie 13% für die Sozialdemokraten. Nach der innerparteilichen Krise seit Ende 2009 mit dem neuen Parteivorsitzenden Sven Mikser ein echter Erfolg. Die Demoskopen sagen nun einen Kampf um den zweiten Platz voraus, denn die Zentrumspartei könnte noch Einbußen hinnehmen, während die anderen beiden Parteien auch daran profitieren, daß die Volksunion und die Grünen nach ihren inneren Konflikten den Sprung ins Parlament verfehlen könnten. Und so kommt TNS Emor auch zu 25% für die Zentrumspartei, 21% für IRL und 16% für die Sozialdemokraten.
Tõnis Stamberg von Turu-uuringute AS weist darauf hin, daß zuletzt 19% der Wähler erklärten, an der Wahlt teilnehmen zu wollen, aber noch nicht wüßten, welcher Partei sie ihre Stimme geben werden. Diese Beobachtung deckt sich mit dem hier vorher zitierten Politologen Rein Toomla, der auf die hohe Bedeutung der letzten Tage des Wahlkampfes hingewiesen hatte.
Die jüngsten Umfragen lassen allerdings auch Zweifel an Toomlas Gedanken aufkommen, daß die Reformpartei mitunter sogar eine absolute Mehrheit der Mandate erringen könnte. Wahlumfragen sind in den jungen Demokratien Osteuropas aber schon immer problematisch gewesen. Und für die Wahl Estland 2011 gilt eine mehrfache Ausnahme: neben dem Skandal so kurz vor der Wahl gibt es dieses Mal sehr viele Einzelkandidaten und es wird möglicherweise ein Parlament mit rekordkleiner Fragmentierung entstehen.
Wenn die Reformpartei nicht alleine regieren kann, steht IRL zur Verfügung. Würde es für beide zusammen auch nicht reichen, wir in einem Parlament mit nur vier Fraktionen die Regierungsbildung interessant. Savisaars Zentrumspartei kam als Partner immer nur nach dem Bruch anderer Bündnisse in Frage, seit 1992 zwei Mal. Die Sozialdemokraten wiederum hatten wegen der Arbeitsmarktpolitik vergangenes Jahr die regierende Koalition verlassen.
P.S.: Gerade wir gemeldet, daß bereits mehr als 27% der Wähler die Möglichkeit zum früheren Abstimmen genutzt haben.
Daß die Umfragewerte in den letzten Wochen teilweise Wechselhaft waren, ist dem Umstand geschuldet, daß der Chef der Zentrumspartei, das Enfant terrible der estnischen Politik, Edgar Savisaar neuerlich in einen Skandal wegen seiner Verbindungen nach Rußland und von dort angenommenen Geldes verstrickt ist. Eigentlich wenig überraschend, plädiert dieser Politiker doch schon lange für bessere Kontakte zu großen Nachbarn und wird im Inland besonders von russischstämmigen Wählern bevorzugt. Dem estnischen Parteiensystem erweist er damit eigentlich den Dienst, daß nach 1995 nie wieder eine ethnische Partei ins Parlament gewählt wurde.
Die von der Tageszeitung Postimees be Turu-uuringute AS bestellten Zahlen sagen der Reformpartei des Ministerpräsidenten 28% voraus, gefolgt – dank des Skandals mit nunmehr etwas größerem Abstand – von der Zentrumspartei mit 25%, 14% für die Union aus Vaterland und Res Publica (IRL in der einheimischen Abkürzung) sowie 13% für die Sozialdemokraten. Nach der innerparteilichen Krise seit Ende 2009 mit dem neuen Parteivorsitzenden Sven Mikser ein echter Erfolg. Die Demoskopen sagen nun einen Kampf um den zweiten Platz voraus, denn die Zentrumspartei könnte noch Einbußen hinnehmen, während die anderen beiden Parteien auch daran profitieren, daß die Volksunion und die Grünen nach ihren inneren Konflikten den Sprung ins Parlament verfehlen könnten. Und so kommt TNS Emor auch zu 25% für die Zentrumspartei, 21% für IRL und 16% für die Sozialdemokraten.
Tõnis Stamberg von Turu-uuringute AS weist darauf hin, daß zuletzt 19% der Wähler erklärten, an der Wahlt teilnehmen zu wollen, aber noch nicht wüßten, welcher Partei sie ihre Stimme geben werden. Diese Beobachtung deckt sich mit dem hier vorher zitierten Politologen Rein Toomla, der auf die hohe Bedeutung der letzten Tage des Wahlkampfes hingewiesen hatte.
Die jüngsten Umfragen lassen allerdings auch Zweifel an Toomlas Gedanken aufkommen, daß die Reformpartei mitunter sogar eine absolute Mehrheit der Mandate erringen könnte. Wahlumfragen sind in den jungen Demokratien Osteuropas aber schon immer problematisch gewesen. Und für die Wahl Estland 2011 gilt eine mehrfache Ausnahme: neben dem Skandal so kurz vor der Wahl gibt es dieses Mal sehr viele Einzelkandidaten und es wird möglicherweise ein Parlament mit rekordkleiner Fragmentierung entstehen.
Wenn die Reformpartei nicht alleine regieren kann, steht IRL zur Verfügung. Würde es für beide zusammen auch nicht reichen, wir in einem Parlament mit nur vier Fraktionen die Regierungsbildung interessant. Savisaars Zentrumspartei kam als Partner immer nur nach dem Bruch anderer Bündnisse in Frage, seit 1992 zwei Mal. Die Sozialdemokraten wiederum hatten wegen der Arbeitsmarktpolitik vergangenes Jahr die regierende Koalition verlassen.
P.S.: Gerade wir gemeldet, daß bereits mehr als 27% der Wähler die Möglichkeit zum früheren Abstimmen genutzt haben.
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Politik
Dienstag, März 01, 2011
Estland sieht sich selbst
„Eile nägin ma Eestimaad“, sang Urmas Alender mit der Gruppe Ruja in den 80ern.
Das Mitglied der Estnischen Akademie der Wissenschaften, Endel Lippmaa erklärte jüngst in der Öffentlichkeit, Estland sei kein baltischer Staat (mehr). Lippmaa kommt eigentlich aus dem naturwissenschaftlich-mathematischen Bereich, engagierte sich aber während der Umbruchszeit politisch, war Minister und Abgeordneter der aus der ehemaligen Volksfront hervorgegangenen politischen Kräfte, ist also kein Nationalist.
Lippmaa argumentiert, daß die Politik in Estland eher der in Skandinavien realisierten gleiche als jener in den beiden südlichen Nachbarrepubliken Lettland und Estland.
Die Abgrenzung von diesen beiden anderen früheren Sowjetrepubliken, mit denen man gemeinsam im Ausland eben gern als das „Baltikum“ gesehen wird, ist nicht neu. Der jetzige Präsident Toomas Hendrik Ilves war in verschiedenen Regierungen zwei Mal Außenminister und hat in dieser Dienstzeit ebenfalls erklärt, Estland sei kein ost-, sondern ein nordeuropäisches Land. Osteuropa wurde hier verstanden als Synonym für den post-sozialistischen Raum.
Das Baltikum hat sich im deutschen Sprachraum erst im 19. Jahrhundert eingebürgert und lehnt sich an die lateinische Bezeichnung der Ostsee als Mare Balticum an. Auf Lettisch und Litauisch heißt dieses Gewässer auch Baltijas Jūra sowie auf Englisch Baltic Sea und Russisch Балтийское море. Daß die Deutschen wiederum von der Ostsee und die Schweden von Östersjön sprechen, überrascht geographisch so wenig wie der estnische Name Läänemeri, also Westmeer. Auch ist es zutreffend, daß vom Baltikum als dem geographischen Siedlungsraum der Balten sprechend, die finno-ugrischen Esten nur bedingt einschließt. Ironischerweise spricht das dem Estnischen eng sprachverwandte Finnisch von Itämeri, eben Ostsee.
Dennoch handelt es sich bei diesen Versuchen fraglos um eine Imagefrage. Daß Estland ein post-sozialistisches Land ist, ist eigentlich unbestritten. Und wie sehr vielen Esten daran gelegen ist, dies vergessen zu machen, ließ sich an einem weiteren Versuch von Eerik-Niiles Kross erkennen. Der Sohn des bekanntesten Gegenwartschriftstellers Estlands, Jaan Kross, hatte in seiner Zeit als Direktor des Büros für Sicherheitspolitik gefordert, Estland auf Englisch von „Estonia“ in „Estland“ umzubenennen, weil bei seinen Auslandsbesuchen immer alle Gesprächspartner die 1994 gesunkene gleichnamige Fähre ansprächen. Darüber hinaus schlug er damals vor, die von einer Studentenverbindung stammende Landesflagge blau-schwarz-weiß von einer Trikolore in ein wie in Skandinavien übliches Kreuz unter Verwendung der gleichen Farben zu ändern. Diese Anregungen stießen jedoch nicht auf fruchtbaren Boden.
Zweifelsohne wird Estland ein „baltischer“ Staat bleiben und die Staatssymbole werden wohl auch nicht geändert. Viele andere Staaten hat dies ebenfalls nicht an einer mittelfristigen Veränderung ihres Images gehindert. Endel Lippmaa blieb übrigens die Erklärung schuldig, wo er in Wirtschafts-, Sozial- und Steuerpolitik so viele Ähnlichkeiten zwischen den skandinavischen Staaten und Estland sieht.
Lippmaa argumentiert, daß die Politik in Estland eher der in Skandinavien realisierten gleiche als jener in den beiden südlichen Nachbarrepubliken Lettland und Estland.
Die Abgrenzung von diesen beiden anderen früheren Sowjetrepubliken, mit denen man gemeinsam im Ausland eben gern als das „Baltikum“ gesehen wird, ist nicht neu. Der jetzige Präsident Toomas Hendrik Ilves war in verschiedenen Regierungen zwei Mal Außenminister und hat in dieser Dienstzeit ebenfalls erklärt, Estland sei kein ost-, sondern ein nordeuropäisches Land. Osteuropa wurde hier verstanden als Synonym für den post-sozialistischen Raum.
Das Baltikum hat sich im deutschen Sprachraum erst im 19. Jahrhundert eingebürgert und lehnt sich an die lateinische Bezeichnung der Ostsee als Mare Balticum an. Auf Lettisch und Litauisch heißt dieses Gewässer auch Baltijas Jūra sowie auf Englisch Baltic Sea und Russisch Балтийское море. Daß die Deutschen wiederum von der Ostsee und die Schweden von Östersjön sprechen, überrascht geographisch so wenig wie der estnische Name Läänemeri, also Westmeer. Auch ist es zutreffend, daß vom Baltikum als dem geographischen Siedlungsraum der Balten sprechend, die finno-ugrischen Esten nur bedingt einschließt. Ironischerweise spricht das dem Estnischen eng sprachverwandte Finnisch von Itämeri, eben Ostsee.
Dennoch handelt es sich bei diesen Versuchen fraglos um eine Imagefrage. Daß Estland ein post-sozialistisches Land ist, ist eigentlich unbestritten. Und wie sehr vielen Esten daran gelegen ist, dies vergessen zu machen, ließ sich an einem weiteren Versuch von Eerik-Niiles Kross erkennen. Der Sohn des bekanntesten Gegenwartschriftstellers Estlands, Jaan Kross, hatte in seiner Zeit als Direktor des Büros für Sicherheitspolitik gefordert, Estland auf Englisch von „Estonia“ in „Estland“ umzubenennen, weil bei seinen Auslandsbesuchen immer alle Gesprächspartner die 1994 gesunkene gleichnamige Fähre ansprächen. Darüber hinaus schlug er damals vor, die von einer Studentenverbindung stammende Landesflagge blau-schwarz-weiß von einer Trikolore in ein wie in Skandinavien übliches Kreuz unter Verwendung der gleichen Farben zu ändern. Diese Anregungen stießen jedoch nicht auf fruchtbaren Boden.
Zweifelsohne wird Estland ein „baltischer“ Staat bleiben und die Staatssymbole werden wohl auch nicht geändert. Viele andere Staaten hat dies ebenfalls nicht an einer mittelfristigen Veränderung ihres Images gehindert. Endel Lippmaa blieb übrigens die Erklärung schuldig, wo er in Wirtschafts-, Sozial- und Steuerpolitik so viele Ähnlichkeiten zwischen den skandinavischen Staaten und Estland sieht.
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Politik
Wahlen in Estland
Estland wählt im März ein neues Parlament, das inzwischen sechste seit der Unabhängigkeit von der Sowjetunion 1991. 20 Jahre sind nun vergangen. Interessant ist, daß weniger als zwei Monate vor dem Urnengang inhaltliche Themen eine untergeordnete Rolle einzunehmen scheinen. Umfragen zu Folge kann sich Ministerpräsident Andrus Ansip gelassen darauf freuen, die Wahl zu gewinnen und im Amt zu bleiben und im Gegenteil zu 2007 sogar die regierende Koalition fortzusetzen. Das wäre im post-sozialistischen Raum eine der seltenen Ausnahmen. Ansip ist aber schon deshalb eine Ausnahme, weil er seit nunmehr fast sechs Jahren an der Spitze wechselnder Koalitionen im Amt ist.
Estland ist mitten in der Eurokrise in die Gemeinschaftswährung der EU aufgenommen worden und auch, wenn Estland unter den Folgen der Krise stark zu leiden hatte, sieht man auch das dramatischer Schicksal des südlichen Nachbarn Lettland, der unter anderem auch mit der Hilfe Estlands vor dem Bankrott gerettet werden mußte. Andrus Ansip gilt deshalb trotz vorhandener Kritik allgemein als erfolgreich. Die Opposition aus Sozialdemokraten und Volksunion stecken selbst seit Jahren in der Krise und sind schwach. Bleibt als Konkurrent nur noch das Urgestein der estnischen Politik, Edgar Savisaar mit seiner Zentrumspartei, der seit Jahren Bürgermeister der Hauptstadt ist. Sein Problem seit 20 Jahren liegt in seiner Person, welche die Esten spaltet, und das Fehlen von koalitionsbereiten Partnern. Folglich war er in diesem Zeitraum nur zwei Mal Juniorpartner.
Der estnische Politologe Rein Toomla analysierte, daß die Parteien sich in ihren Positionen nach rechts bewegt hätten. Im estnischen Parteiensystem ist das eigentlich nichts Neues, haben doch selbst die Sozialdemokraten gleich 1992 mit den Nationalisten koaliert und auch die Zentrumspartei vertritt linke Positionen mehr oder weniger nur als Opposition.
Gegenstand politischer Stellungnahmen sind statt politischer Inhalte systemische Fragen besonders zum Wahlsystem.
Das Wahlsystem für die Volksvertretung Riigikogu ist die Verhältniswahl mit eine fünf Prozent-Hürde und dem sogenannten System der Vorzugsstimmen. In der Wahlkabine macht der Wähler kein Kreuzchen, sondern trägt die Nummer des bevorzugten Kandidaten ein. Damit geht die Stimme an die Liste, auf welcher der betreffende Politiker kandidiert und der Wähler spricht dieser Person damit seinen Vorzug aus. In der Praxis freilich stimmen viele Wähler für bekannte und populäre Politiker, die dann ein Mehrfaches der nötigen Stimmen erhalten, um in das Parlament einzuziehen und quasi eine Lokomotivfunktion für die Liste ihrer Partei übernehmen, von der weitere Kandidaten gewählt sind nach von der Partei festgelegter Reihenfolge, möglicherweise sogar ohne selbst auch nur eine einzige Vorzugsstimme erhalten zu haben. Das bedeutet aber auch, daß individuelle Kandidaten ins Rennen steigen und versuchen können, allein das erforderliche Quorum zu erreichen, ohne einer Liste anzugehören, die mindestens fünf Prozent der Stimmen landesweit erreicht haben müßte. 2009 gelang dies bei den Wahlen zum Europäischen Parlament beispielsweise dem Fernsehmoderator Indrek Tarand. Auf nationaler Ebene ist dies auch nur in Ausnahmefällen gelungen.
Diese Hoffnung ist freilich gering, wie der Soziologe Aivar Voog sagt vorrechnet. Die vier großen Parteien in Estland, Reformpartei, Zentrumspartei, Vaterland und Res Publica Union sowie die Sozialdemokraten werden nach allen Prognosen etwa 90% der Stimmen bekommen, ein Einzelkandidat müßte also die verbliebenen zehn Prozent überzeugen gegen eine Konkurrenz aus verschiedenen Splitterparteien wie auch der Volksunion, die seit der Unabhängigkeit immer im Parlament vertreten war und erst jetzt nach zahlreichen Schwierigkeiten um den Wiedereinzug ins Parlament bangen muß.
Voog empfiehlt potentiellen Kandidaten eher, sich parteilos auf einer Liste aufstellen zu lassen und auf eines der Kompensationsmandate zu hoffen. Je mehr solcher Individualisten eine Partei aufstellen könne, desto mehr Wähler fühlten sich angesprochen. Der Soziologe spricht über dieses Thema angesichts einer zunehmenden Unzufriedenheit mit den „etablierter“ Parteien, die zunehmen Einzelpersonen motivierten, selber zu kandidieren. Im Wahlkreis Läänemaa aber müßte ein Einzelkandidat es auf 20% der Vorzugsstimmen, um die Quote zu erreichen, wohingegen in Harjumaa und Raplamaa gtu sieben Prozent genügten. Doch hier, so gibt Voog zu bedenken, stellen die regierenden Parteien starke Konkurrenten wie Ministerpräsident Andrus Ansip und den früheren Regierungschef Mart Laar auf.
Der Empfehlung von Voog folgend verkündete der nationalistisch gesinnte Historiker Mart Helme gemeinsam mit seinem Sohn Martin, bis Dezember 2010 um Anhänger zu werben, um in jedem der zwölf Wahlkreise einen eigenen Kandidaten aufzustellen, fanden jedoch derer nur sieben. Die Familie Helme wirbt mit wenig einfallsreichen und zweifelhaften Parolen. Die politische Elite habe abgewirtschaftet und handele nicht im Interesse des Volkes. Außerdem wolle man das Wahlsystem ändern und das Prinzip der Abberufbarkeit einzelner Abgeordneter einführen, was gegen die Gewissensfreiheit des Mandatsträger verstoßen würde. Ihre nationalistische Einstellung kommt bei der Forderung zum Ausdruck, Ausländern das kommunale Wahlrecht abzuerkennen. In Estland leben viele in Sowjetzeit zugewanderte Russen, die zu einem Teil den Status der Staatenlosen genießen, aber trotzdem auf kommunaler Ebene abstimmen dürfen, da im Nordosten der Bevölkerungsanteil von Menschen nicht estnischer Nationalität teilweise bei über 90% liegt.
Andere Parteien diskutieren die Senkung der 5%-Hürde. Die von der politischen Bedeutungslosigkeit bedrohte Volksunion verlangt gar eine Senkung auf 0,7% und die gleichzeitige Verkleinerung des Parlaments von 101 auf nur noch 51 Mandate. Rein arithmetisch aber wären schon zwei von 100 Prozent erforderlich, um in einer 51-köpfigen Volksvertretung einen Sitz zu erlangen, vorausgesetzt, es scheiterten nicht zahlreiche Splitterparteien sogar an dieser Hürde. Die Volksunion beruft sich dabei auf eine ehemalige Politikerin, die nach der Unabhängigkeit als Mitglied der Sozialdemokraten auch im Kabinett vertreten war. Liia Hänni ist der Ansicht, daß eine zu hohe Einzugshürde die Macht den finanzstarken Parteien der Monopolmeinung und Minderheitenpositionen unberücksichtigt überläßt.
Dem aber widerspricht das politische Establishment einschließlich ihrer ehemaligen politischen Heimat. Deren neuer Vorsitzender Sven Mikser beklagte die Unklarheit so kurz vor der Wahl, ob es sich wirklich um einen Vorschlag im Interesse des Volkes oder die eigene Popularisierung handele. Die Vaterland und Res Pulica weisen auf die Funktion zur Konsolidierung des Parlamentes hin. 1992 wäre ohne 5%-Hürde wohl die Reformregierung Mart Laars nicht zustande gekommen, heißt es. Während dessen Partei natürlich eine gewissen Voreingenommenheit unterstellt werden kann, ließe sich praktisch wenige Wochen vor der Wahl eine Änderung des Modus gar nicht umsetzen.
Die Volksunion steht sich aber angesichts grundlegender innerparteilicher Diskussion selbst im Weg. Während der Parteivorsitzende ein Kabinett aus Experten ihres Fachgebietes will, lehnt der eigene Kandidat für das Amt des Regierungschef, Jaan Toots, dies mit dem Hinweis auf die dann fehlende politische Verantwortung ab. Sein Credo ist, das Land brauche keine Koalition aus untereinander austauschbaren Parteien.
Vor vier Jahren waren auch die estnischen Grünen in Fraktionsstärke ins Parlament eingezogen, nachdem sie während der 90er Jahre eines jener Beispiele waren, die von der Möglichkeit individueller Mandate profitiert hatten. Die Grünen hatten es 2007 nicht in die Regierung geschafft und litten während der Legislaturperiode unter internen Konflikten, so daß ihr Erfolg im März unklar ist. Die Partei trat darum mit einem Zukunftsmanifest die Flucht nach vorn an, welches von zahlreichen bekannten Persönlichkeiten wie etwa dem ehemaligen Ministerpräsidenten Andres Tarand, dem Sohn des bekanntesten Gegenwartschriftstellers Jaan Kross, Eerik-Niiles Kroß, dem Direktor des Tallinner Zoos, Mati Kaal und vielen anderen unterzeichnet wurde. Es handelt sich nicht um ein Programm oder eine Beitritterklärung, sondern eher um ein moralischer Pamphlet, welches an das Gewissen eines Kulturvolkes zu appellieren versucht. Die Grünen versuchen jedoch auch, bekannte Persönlichkeiten für eine Kandidatur zu gewinnen und plädieren in diesem Rahmen für eine Öffnung der Listen. Dann könnte der Wähler nicht nur eine Vorzugsstimme abgeben, sondern die Reihenfolge der Kandidaten durch seine Stimmabgabe beeinflussen.
In einem Interview bestätigte Ministerpräsident Andrus Ansip jüngst, daß auch seine Regierung Fehler gemacht habe. Als Beispiel erwähnt er die schuldentreibenden Nachtragshaushalte, die er in einer von Kolumnisten herbeigeschriebenen befürwortenden Atmosphäre nicht habe verhindern können, obwohl seine Regierung dazu die Möglichkeit gehabt hätte. Im März wird wohl in Estland mit oder ohne Grüne und Volksunion weitgehend alles beim Alten bleiben.
Estland ist mitten in der Eurokrise in die Gemeinschaftswährung der EU aufgenommen worden und auch, wenn Estland unter den Folgen der Krise stark zu leiden hatte, sieht man auch das dramatischer Schicksal des südlichen Nachbarn Lettland, der unter anderem auch mit der Hilfe Estlands vor dem Bankrott gerettet werden mußte. Andrus Ansip gilt deshalb trotz vorhandener Kritik allgemein als erfolgreich. Die Opposition aus Sozialdemokraten und Volksunion stecken selbst seit Jahren in der Krise und sind schwach. Bleibt als Konkurrent nur noch das Urgestein der estnischen Politik, Edgar Savisaar mit seiner Zentrumspartei, der seit Jahren Bürgermeister der Hauptstadt ist. Sein Problem seit 20 Jahren liegt in seiner Person, welche die Esten spaltet, und das Fehlen von koalitionsbereiten Partnern. Folglich war er in diesem Zeitraum nur zwei Mal Juniorpartner.
Der estnische Politologe Rein Toomla analysierte, daß die Parteien sich in ihren Positionen nach rechts bewegt hätten. Im estnischen Parteiensystem ist das eigentlich nichts Neues, haben doch selbst die Sozialdemokraten gleich 1992 mit den Nationalisten koaliert und auch die Zentrumspartei vertritt linke Positionen mehr oder weniger nur als Opposition.
Gegenstand politischer Stellungnahmen sind statt politischer Inhalte systemische Fragen besonders zum Wahlsystem.
Das Wahlsystem für die Volksvertretung Riigikogu ist die Verhältniswahl mit eine fünf Prozent-Hürde und dem sogenannten System der Vorzugsstimmen. In der Wahlkabine macht der Wähler kein Kreuzchen, sondern trägt die Nummer des bevorzugten Kandidaten ein. Damit geht die Stimme an die Liste, auf welcher der betreffende Politiker kandidiert und der Wähler spricht dieser Person damit seinen Vorzug aus. In der Praxis freilich stimmen viele Wähler für bekannte und populäre Politiker, die dann ein Mehrfaches der nötigen Stimmen erhalten, um in das Parlament einzuziehen und quasi eine Lokomotivfunktion für die Liste ihrer Partei übernehmen, von der weitere Kandidaten gewählt sind nach von der Partei festgelegter Reihenfolge, möglicherweise sogar ohne selbst auch nur eine einzige Vorzugsstimme erhalten zu haben. Das bedeutet aber auch, daß individuelle Kandidaten ins Rennen steigen und versuchen können, allein das erforderliche Quorum zu erreichen, ohne einer Liste anzugehören, die mindestens fünf Prozent der Stimmen landesweit erreicht haben müßte. 2009 gelang dies bei den Wahlen zum Europäischen Parlament beispielsweise dem Fernsehmoderator Indrek Tarand. Auf nationaler Ebene ist dies auch nur in Ausnahmefällen gelungen.
Diese Hoffnung ist freilich gering, wie der Soziologe Aivar Voog sagt vorrechnet. Die vier großen Parteien in Estland, Reformpartei, Zentrumspartei, Vaterland und Res Publica Union sowie die Sozialdemokraten werden nach allen Prognosen etwa 90% der Stimmen bekommen, ein Einzelkandidat müßte also die verbliebenen zehn Prozent überzeugen gegen eine Konkurrenz aus verschiedenen Splitterparteien wie auch der Volksunion, die seit der Unabhängigkeit immer im Parlament vertreten war und erst jetzt nach zahlreichen Schwierigkeiten um den Wiedereinzug ins Parlament bangen muß.
Voog empfiehlt potentiellen Kandidaten eher, sich parteilos auf einer Liste aufstellen zu lassen und auf eines der Kompensationsmandate zu hoffen. Je mehr solcher Individualisten eine Partei aufstellen könne, desto mehr Wähler fühlten sich angesprochen. Der Soziologe spricht über dieses Thema angesichts einer zunehmenden Unzufriedenheit mit den „etablierter“ Parteien, die zunehmen Einzelpersonen motivierten, selber zu kandidieren. Im Wahlkreis Läänemaa aber müßte ein Einzelkandidat es auf 20% der Vorzugsstimmen, um die Quote zu erreichen, wohingegen in Harjumaa und Raplamaa gtu sieben Prozent genügten. Doch hier, so gibt Voog zu bedenken, stellen die regierenden Parteien starke Konkurrenten wie Ministerpräsident Andrus Ansip und den früheren Regierungschef Mart Laar auf.
Der Empfehlung von Voog folgend verkündete der nationalistisch gesinnte Historiker Mart Helme gemeinsam mit seinem Sohn Martin, bis Dezember 2010 um Anhänger zu werben, um in jedem der zwölf Wahlkreise einen eigenen Kandidaten aufzustellen, fanden jedoch derer nur sieben. Die Familie Helme wirbt mit wenig einfallsreichen und zweifelhaften Parolen. Die politische Elite habe abgewirtschaftet und handele nicht im Interesse des Volkes. Außerdem wolle man das Wahlsystem ändern und das Prinzip der Abberufbarkeit einzelner Abgeordneter einführen, was gegen die Gewissensfreiheit des Mandatsträger verstoßen würde. Ihre nationalistische Einstellung kommt bei der Forderung zum Ausdruck, Ausländern das kommunale Wahlrecht abzuerkennen. In Estland leben viele in Sowjetzeit zugewanderte Russen, die zu einem Teil den Status der Staatenlosen genießen, aber trotzdem auf kommunaler Ebene abstimmen dürfen, da im Nordosten der Bevölkerungsanteil von Menschen nicht estnischer Nationalität teilweise bei über 90% liegt.
Andere Parteien diskutieren die Senkung der 5%-Hürde. Die von der politischen Bedeutungslosigkeit bedrohte Volksunion verlangt gar eine Senkung auf 0,7% und die gleichzeitige Verkleinerung des Parlaments von 101 auf nur noch 51 Mandate. Rein arithmetisch aber wären schon zwei von 100 Prozent erforderlich, um in einer 51-köpfigen Volksvertretung einen Sitz zu erlangen, vorausgesetzt, es scheiterten nicht zahlreiche Splitterparteien sogar an dieser Hürde. Die Volksunion beruft sich dabei auf eine ehemalige Politikerin, die nach der Unabhängigkeit als Mitglied der Sozialdemokraten auch im Kabinett vertreten war. Liia Hänni ist der Ansicht, daß eine zu hohe Einzugshürde die Macht den finanzstarken Parteien der Monopolmeinung und Minderheitenpositionen unberücksichtigt überläßt.
Dem aber widerspricht das politische Establishment einschließlich ihrer ehemaligen politischen Heimat. Deren neuer Vorsitzender Sven Mikser beklagte die Unklarheit so kurz vor der Wahl, ob es sich wirklich um einen Vorschlag im Interesse des Volkes oder die eigene Popularisierung handele. Die Vaterland und Res Pulica weisen auf die Funktion zur Konsolidierung des Parlamentes hin. 1992 wäre ohne 5%-Hürde wohl die Reformregierung Mart Laars nicht zustande gekommen, heißt es. Während dessen Partei natürlich eine gewissen Voreingenommenheit unterstellt werden kann, ließe sich praktisch wenige Wochen vor der Wahl eine Änderung des Modus gar nicht umsetzen.
Die Volksunion steht sich aber angesichts grundlegender innerparteilicher Diskussion selbst im Weg. Während der Parteivorsitzende ein Kabinett aus Experten ihres Fachgebietes will, lehnt der eigene Kandidat für das Amt des Regierungschef, Jaan Toots, dies mit dem Hinweis auf die dann fehlende politische Verantwortung ab. Sein Credo ist, das Land brauche keine Koalition aus untereinander austauschbaren Parteien.
Vor vier Jahren waren auch die estnischen Grünen in Fraktionsstärke ins Parlament eingezogen, nachdem sie während der 90er Jahre eines jener Beispiele waren, die von der Möglichkeit individueller Mandate profitiert hatten. Die Grünen hatten es 2007 nicht in die Regierung geschafft und litten während der Legislaturperiode unter internen Konflikten, so daß ihr Erfolg im März unklar ist. Die Partei trat darum mit einem Zukunftsmanifest die Flucht nach vorn an, welches von zahlreichen bekannten Persönlichkeiten wie etwa dem ehemaligen Ministerpräsidenten Andres Tarand, dem Sohn des bekanntesten Gegenwartschriftstellers Jaan Kross, Eerik-Niiles Kroß, dem Direktor des Tallinner Zoos, Mati Kaal und vielen anderen unterzeichnet wurde. Es handelt sich nicht um ein Programm oder eine Beitritterklärung, sondern eher um ein moralischer Pamphlet, welches an das Gewissen eines Kulturvolkes zu appellieren versucht. Die Grünen versuchen jedoch auch, bekannte Persönlichkeiten für eine Kandidatur zu gewinnen und plädieren in diesem Rahmen für eine Öffnung der Listen. Dann könnte der Wähler nicht nur eine Vorzugsstimme abgeben, sondern die Reihenfolge der Kandidaten durch seine Stimmabgabe beeinflussen.
In einem Interview bestätigte Ministerpräsident Andrus Ansip jüngst, daß auch seine Regierung Fehler gemacht habe. Als Beispiel erwähnt er die schuldentreibenden Nachtragshaushalte, die er in einer von Kolumnisten herbeigeschriebenen befürwortenden Atmosphäre nicht habe verhindern können, obwohl seine Regierung dazu die Möglichkeit gehabt hätte. Im März wird wohl in Estland mit oder ohne Grüne und Volksunion weitgehend alles beim Alten bleiben.
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"Ein Vulkan"
rene j hat fotografisch nachgelegt. Auch so kann man das Eis der Ostsee darstellen. Ende Februar.
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