Estlands Natur ist unbestritten ein Anziehungspunkt für viele Gäste und Naturliebhaber. Gerade Menschen aus dicht besiedelten und stärker industrialisierten Ländern kommen gern hierher, auch wenn die meisten von ihnen sicher nicht die Artenkenntnis mitbringen wie Spezialist/innen von Ökologie, Biologie oder Ornithologie.
Seit Wiedererlangung der Unabhängigkeit kann Estland nun auf 30 Jahre Entwicklung auch unter diesem Aspekt zurückblicken. Marko Mägi, Wissenschaftler an der Universität Tartu, stellt dazu fest, dass die Vogelpopulationen in diesen Jahren leider zurückgegangen seien. Estland habe den Kapitalismus von solcher Art für sich entdeckt der zur Folge habe, dass alles intensiver bewirtschaftet werde, meint er. Dem gleichen Trend sei die Land- und Forstwirtschaft Estlands gefolgt. Als Resultat habe sich die Vielfalt der Vogelarten verringert, und zwar nicht nur der seltenen Arten, sondern auch bei den ganz gewöhnlichen Arten seien die Zahlen heruntergegangen. (ERR)
"Nachdem Estland zur Europäischen Union beigetreten ist, wurden die Agrarsubventionen erhöht, wodurch wir mehr Pestizide und Düngemittel verwendet werden konnten. Die Felder sind auch größer und gleichmäßiger“, ergänzt Kaarel Võhandu, Vorsitzender der "Estnischen Ornithologische Gesellschaft" (Eesti Ornitoloogiaühing EOÜ).
Außerdem sei der Nutzungsdruck auf die estnischen Wälder erheblich gewachsen: Zwischen 2016 und 2018 stiegen die abgeholzten Waldflächen im Vergleich zum Zeitraum von 2004 bis 2015 um 85%. In 95% dieser Fälle erfolgt der Holzeinschlag durch Kahlschlag. (Birdlife) Etwa 100 verschiedene Brutvögelarten leben allein in den estnischen Wäldern - durch zunehmenden Holzeinschlag seien zum Beispiel Arten wie Birkhuhn, Auerhuhn, Heidelerche oder Baumpieper besonders gefährdet. So verlangt auch "Birdlife Estonia" ein Verbot von Holzeinschlag in der Brutsaison, also vom 15. März bis 31. August, wenigstens aber bis zum 15. Juli. Auch die Schwarzstorchpopulation sei in Estland stark rückläufig - so dass im Frühjahr aus dem Süden zurückkehrende Vögel oft keinen neuen Partner oder Partnerin finden könnten (Estonianworld).Marko Mägi nimmt dabei auch zum Klimawandel als möglicher Ursache für Veränderungen der Vogelpopulation Stellung. Natürlich könne auch das zum Rückgang der Vogelpopulationen beitragen - aber jedenfalls seien noch keine Vogelarten, die normalerweise weiter südlich leben, nun zusätzlich in Estland beobachtet worden. "Der menschliche Einfluß auf einzelne Regionen vor Ort ist derzeit viel stärker." (ERR)
388 wildlebende Vogelarten wurden als Brutvögel in Estland gezählt (Stand 2018) - wenn wir alles dazuzählen, was je in Estland in der Geschichte der Ornithologie beobachtet worden ist. (EOY) Etwa 225 Vogelarten gelten heute noch als Brutvögel in Estland. Zum Vergleich: in Schleswig-Holstein sind es 216, in Niedersachen / Bremen 208, in Deutschland insgesamt sind es 305 Arten. Tourismusanbieter wie "NaTourEst", "Birding Haapsalu" oder "EcoTours Anytime" versprechen ihren Gästen die Möglichkeit, auf einer mehrtägigen Vogelbeobachtungstour in Estland bis zu 175 Arten sehen zu können.
Ob Estland aber einen Status als - so wie einige es nennen - "birdiest country in Europe" (vogelreichstes Land Europas) halten kann, scheint ungewiss. Bisher werben estnische Gemeinde wie Haapsalu aktiv mit ihrer Vielfalt an Vogelarten. Der estnischen Tourismuswerbung zufolge liegt die Rekordzahl der Vogelarten, die in Estland innerhalb von 24 Stunden beobachtet werden konnte, bei 194 (VisitEstonia)