Dienstag, Dezember 20, 2016

Maitse, Rukkileib und Fuchswoche

Was Estland-Blogs berichten.
Auch in der Welt der Studierenden sind inzwischen Eindrücke aus Estland nicht mehr so selten, wie vielleicht noch vor 10 Jahren. Inzwischen gibt es einige sehr eifrige Bloggerinnen und Blogger, die uns vom alltäglichen Leben in Estland auch in deutscher Sprache auf dem Laufenden halten.

"Meine erste Idee war, jede Woche einen Song zu posten, der meine aktuelle Stimmung wiedergibt", schreibt Eva, die ihren Blog "Evaestonia" immerhin schon seit August 2012 betreibt - der momentan letzte Eintrag stammt allerdings jetzt von Mai 2016. Den Ausdruck "Eesti maitse" zählt Eva zu ihren Lieblingswörtern ("die Kombination der beiden Wörter uus und maitse finde ich einfach gut"). Also "neu" und "Geschmack", im zweifelsfalls auch für schlichte Cola-Werbung in Gebrauch.Aber auch das Rezept für ein "Rukkileib" (Roggenbrot) findet sich bei Eva, Infos zum Streetart-Künstler Edward von Lõngus, oder Tipps zur estnischen Musikszene.

Etwas mehr Ansprüche an ihren Blog äußert Simone, EX-BWL-Studentin aus Wiesbaden, die sich, nach Zwischenstationen in Münster und Berlin, vorerst einen Wohnsitz auf den Seychellen gesucht hat. In ihrem Blog "Wolkenweit" geht sie auf digitale Reisen. Hier steht Estland in einer Reihe mit Neuseeland, Kuba, Sansibar, Curaçao und Südafrika - warum auch nicht? "Alternatives Sightseeing" bietet Simone an, und fragt sich erstaunt, warum sie ein so schönes Land bisher übersehen konnte. Sie entdeckt die (fast) einsame Inseln Prangli und Malusi, selbst gepflückte Pfifferlinge, die Burg Rakvere mit Folterkammer-Führung und echte Bären. Auch Moorschuhe sind ihr bisher neu, Sauna und Apfelkuchen, sowie ein estnisches Bullerbü. Kein Wunder, dass diese Übersicht als "alternativ" durchgeht - kommen doch Tartu und Tallinn kaum vor, mit Ausnahme von Kalamaja, von Simone als "Prenzlberg von Tallinn" bezeichnet.

Marie ist in Estland als Austauschschülerin. Auch sie schreibt über Rakvere, dazu Narwa, Tallinn und Tartu. Die Zeit vergeht schnell, und überrascht beschreibt Marie einen "Lehrertag", an dem die Lehrer morgens tatsächlich die Schule wieder verlassen und die Schülerinnen und Schüler der Klasse 12 das Regiment übernehmen. Besonders viel schlauer geworden ist Marie an diesem Tag offenbar nicht, aber sie meint: sowas könnte man auch mal in Deutschland einführen. "Schick machen für die Schule" - auch das gibts in Estland.

Auch Krissi machte ein Auslandsschuljahr und hat ordentlich Kommentare und Erfahrungsberichte dazu im Netz hinterlassen. "365 Tage Tere" resumiert sie, und nur eines ihrer Ziele hat sie in diesem Jahr nicht geschafft: einen freilebenden Elch in Estland zu sehen. Dafür steht aber vieles andere Neues von "Balti kett", estnische Pfannkuchen, ein breites Angebot an Cidre-Getränken, Kiik die Dorfschaukel, bis hin zum "priate space" der Estinnen und Esten. Als in Estland allerdings eine Szene aus dem 2.Weltkrieg nachgespielt wird, reagiert Krissi eher mit Unverständnis. "einige alte Bundeswehrzelte, es gibt einen Appellplatz mit Lautsprechern und in der Mitte ist die Naziflagge gehisst. Auf dem Platz laufen Letten verkleidet als Nazisoldaten herum und machen Erinnerungsfotos. Ich verstehe es nicht. Wie kann Krieg für Menschen ein Spiel sein?"

"Estland ist zur Zeit das wärmste Land Europas!" dieser Ausruf der 15-jährigen Vicky stammt aus dem Sommer 2014. Manche estnische Worte finden bei ihr besondere Erwähnung wie etwa "Maakonnatantsupid" ("das ist eine Art Festival wo alle Volkstanzgruppen aus dem 'Landkreis?!' zusammen kommen und tanzen und singen"). Auch "Rebastenädal" (Fuchswoche), Rahvatants (Volkstanz) und Väravamäng (Torbogenspiel), sowie das Gefühl "mit einem Klapperbus über Land zu fahren." Und auch Vicky fällt der "Õpetajapäev" (Lehrertag) besonders auf: "typisch estnisch mit viel Gesang und Musik". Tubli!

Ob fast nur Frauen und Mädchen über ihre Estland-Aufenthalte berichten, kann ich nicht beurteilen (da ich es statistisch nicht erfasst habe). Michi's Blog jedenfalls ist nur scheinbar eine Ausnahme, denn hier klingt nur der Name männlich. Auch Michi beschreibt das Verwundern von Freunden und Bekannten: Warum Estland? Eigentlich wollte sie in die USA, gibt er zu. Aber USA wäre zu teuer gewesen, und ein Stipendienantrag war nicht erfolgreich. Also: eine bezahlbare Alternative musste her: Estland. In ihrem Bericht sind interessante Thesen zu finden, wie diese: "in Estland bekommt man nicht so viel Post, da alles über das Internet funktioniert." Auch die Schnelligkeit von estnischem Straßenbau, Feuertänzerinnen am Peipussee, der Besuch einer ehemaligen Raketenabschlußbasis und ein Vapiano in Tartu findet Michi unbedingt erwähnenswert. Auch Michi nutzt übrigens ganz selbstverständlich eine estnische ID-Card, macht sich mit estnischen Berühmtheiten wie Oskar Luts bekannt. Interessant hier eine Liste mit gleich 20 (!) Unterschieden zwischen estnischen und deutschen Schulen. Kurz zusammengefasst: zum Schulanfang ziehen sich alle schick an, es gibt Extra-Schuhe nur für die Schule, alle hantieren ständig mit dem Handy, es gibt kostenloses Mittagessen in der Schule, und auch der Sportlehrer gibt sich wirklich Mühe mit den Schülerinnen und Schülern. Dazu "sind die Noten anders herum" (5 ist die beste), das Klassenbuch ist elektronisch, die Schultechnik funktioniert wirklich, und im Klassenraum gibt es einen Wasserhahn, wo jeder seine Flaschen befüllen kann. Insgesam "um einiges angenehmer und entspannter", findet Michi.

Nun ja, wer also sich im Internet etwas umschaut - ob Gastschuljahr oder Studium: Estland rockt!