Donnerstag, September 23, 2010

Was man von Franz Josef Jung lernen kann

Franz Josef Jung ist seit seinem ruhmlosen Abgang als Bundesverteidigungsminister nicht mehr sehr oft in den Schlagzeilen. Kurz wurde sein Name als einer der wenigen Unterstützer der Berufsvertriebenen Erika Steinbach genannt, also von jener Fraktion, die gerne die gestrigen Sicht- und Deutungsweisen der Geschichte wieder einführen möchte. 
Ex-Minster Jung empfing in diesen Tagen einen jungen Esten namens Rihards, und die hessische Lokalpresse berichtete. "Ein Este in Trebur" - so wie es "Echo-Online" schreibt - ja, das könnte auch beinahe schon ein Romantitel sein.
Doch wo liegt Trebur? In Südhessen also. Dort, wo man in der Schule noch mit Papier und Stift schreibt, so kommentiert der junge Este gegenüber der Lokalpresse (ob diese es in den Schreibblock oder in den Laptop notiert, ist nicht überliefert). In Estland werden die Hausaufgaben mit Laptop und Internet erledigt,meint Rihards. 
Ein weiterer Berichterstatter der Lokalpresse ist offenbar vom Sportteil entliehen: es werde wohl schwierig werden für Rihards, Freunde zu finden, meint die "Main-Spitze". Die Begründung ist interessant: "... da Rihards kein Mannschaftssportler sei." Seit 13 Jahren fährt Rihards aber Motocross, so ist im gleichen Beitrag zu erfahren. Also seit er 5 Jahre alt ist. Ein Jahr soll Rihards in Deutschland bleiben, aber das Motocross-Fahren haben ihm die Deutschen gleich mal verboten. Ein Motocross-Gelände ist wohl in der Nähe, aber das wird ihm wenig helfen (beim Freunde-Finden?). Fahren aus versicherungstechnischen Gründen verboten, hieß es dort angeblich. In der estnischen Motorsportpresse ist Rihards jedenfalls schon längst ein Thema.
Aber statt dem 18-Jährigen (!) nun über diese offenbar ziemlich bürokratischen deutschen Hürden zu helfen, tut man was? Man führt ihn ins Büro von Franz Josef Jung. Dieser habe angeblich "die Patenschaft übernommen". Und was macht so ein Polit-Pate? Na klar, beim Termin mit der Lokalzeitung Sätze von sich geben wie "Europa wächst zusammen." (ansonsten sind die Rahmenbedingungen für den Schüleraustausch bei "Youth for Understanding" nachzulesen). Oder verbirgt sich hier vielleicht ein Programm zu Ko-Finanzierung solcher Schulaustauschprogramme? Praktische Hinweise Fehlanzeige.

Rihards, verzeihe es uns. Ich kann nur hoffen, in Südhessen gibt es noch interessantere Dinge zu erleben als für die Interessen anderer ins öffentliche Schaufenster stellen zu müssen. Aber eine Möglichkeit bleibt ja: aufmerksam die Lokalpresse lesen.

Dienstag, September 21, 2010

Erinnerungskulturen IX

Es geht um den 2. Weltkrieg. Um die unterschiedlichen Bewertungen und Sichtweisen der Jahre bis 1945. Hier gibt es große Unterschiede in Europa. Nicht nur innerhalb des alten Westens, sondern besonders zwischen Osteuropäern und Westeuropäern. Der letzte Post darüber war vor über zwei Jahren, jetzt eine Fortsetzung.

1991 kam ich das erste Mal nach Tallinn. Auch ich dachte, dass die Kriegszerstörungen in der Stadt Folge des Angriffs der Wehrmacht waren. So lautete auch die offizielle Geschichtsschreibung der Sowjetunion bis 1991. Doch es war die Sowjet-Luftwaffe:
Tallinn 1991 old town ruins
Es war klar, dass die historischen Fakten nicht korrekt dargestellt worden waren. Nur warum dann die Bombardierung 1944?
Und hier gibt es noch recht große Interpretationsunterschiede. Im Internet dreht es sich vor allem um den estnischen Anteil an der deutschen Kriegsführung. Und da ist oft von Freiwilligenverbänden, sogar auf Seiten der SS, zu lesen.

Gedankensprung. Der Todestag eines Esten in Tschechien. 1945. Dazu habe ich einen Kommentar gefunden, den ich leider auf seine historische Richtigkeit nicht überprüfen kann, er stellt den Rote-Armee-Soldaten ein positives Zeugnis im Umgang mit estnischen Kriegsgefangenen aus:
I've been talking with large amount of veterans about the event in Chech Republic back in May 45 and many of them have said that the Russian soldiers and officers treated the captured Estonians with much more dignity and compassion than local partisans. Which of course is quite understandable- Russians were the front soldiers and they saw Estonians as POW's, while Chechs were civilians for whom my country mates were only the murderous scum. And as for the torturing- I've never heard that Russians had tortured any Estonian POW's at these days (a few years after the war's end they started to do it, though), nor did they execute them right after the capturing. That's just the sad history of Estonia- first communist Russia occupied us, then nazi Germany liberated us from Stalin and occupied us. The WWII was not our war, but we were taken by it's whirlwinds against our will, fighting side by side with both enemies, hoping that one day our country will be free again. It didn't happen and it's not our grandfathers' fault. And what could be more unfair than to be killed by some third nation, with whom we had nothing to do during the whole war? For me it's undescribebly tragic.
von gnadenlose
in War Relics Forum
1945 wurde Paul Maitla hingerichtet. In Tschechien. Im Internet findet sich sein Name sehr häufig unter rechtslastigen Seiten. Siehe da, ein Ritterkreuzträger.

Nur hatte er laut einer estnischen Dokumentation einen eher großen Abstand zu den Kriegsdeutschen. Wie auch viele andere. Und ganz so freiwillig war die Teilnahme am deutsch-sowjetischen Krieg auch nicht. Eine Dokumentation aus dem Jahr 2006, gezeigt auf dem Black-Nights-Festival in Tallinn, ist jetzt auch im Internet zu sehen, mit englischen Untertiteln. Ich hoffe, sie ermöglicht eine differenzierte Sichtweise der Kriegsereignisse.
Sinimäed - Die blauen Hügel, ein Film über einen der schwersten und verlustreichsten Kämpfe in Estland während des zweiten Weltkriegs. Acht Monate blieb dieser Frontabschnitt bestehen.

Battle of Tannenberg Line, Wikipedia

Mittwoch, September 15, 2010

Neues Europa

Serbien in die EU, aber das Kosovo als Staat anerkannt. Das ist grob die estnische Position. Kam die Anerkennung überhaupt zur Sprache, ist das ein Problem für Serbien. Wer weiss? Der estnische Präsident jedenfalls bleibt offiziell Diplomat, die übliche europäische Floskel für Gegner (Kosovo-Serbien): Sie sollten miteinander reden.
Die Präsidenten Toomas Hendrik Ilves und Boris Tadić in Tallinn.

Naja, aber bei der Wirtschaft geht immer was. Und sogar auf einem ungewöhnlichen Gebiet. Der Abbau von Ölschiefer in Estland hat eine eigene Technologie hervorgebracht. Das könnte auch Serbien, neben IT natürlich, interessieren:

There has been important cooperation between Tallinn and Belgrade in the fields of information and communications technology and the development and use of oil shale processing technology. In the case of the former, Serbia already has the Estonian state's X-roads software at its disposal, and a number of Estonia’s ICT companies are interested in launching or expanding operations in Serbia. In the case of the latter, Estonian companies are looking to work with Serbia on the use of the country’s oil shale reserves. Here Serbia also wishes to make use of Estonia’s know-how, as can be seen in the close ties that exist between the Viru Chemistry Group and the University of Belgrade.


Eine serbische Delegation bei den estnischen Minenexperten.
Ölschiefertechnik scheinbar mit Zukunft, die Klimaschützer wird das nicht gerade freuen.

Auszug aus der Pressemitteilung, Präsident Ilves.

Montag, September 13, 2010

Sofi Oksanen in Köln

Estnisch-finnische Beziehungen und Estland in der Sowjetzeit. Damit beschäftigt sich Sofi Oksanen. Sie kommt laut Kölner Stadtanzeiger zur Vorstellung ihres Romans Fegefeuer, jetzt auf Deutsch erschienen, in die Medienmetropole NRWs.
Sofi Oksanen wuchs in Mittelfinnland als Tochter finnisch-estnischer Eltern auf. Ein „Picknick“ sei ihre Kindheit in der Industriestadt Jyväskylä nicht gewesen, erzählt sie in Interviews, da ihre halbestnische Herkunft am besten verschwiegen wurde. Ihr beachtetes Debut, „Stalinin lehmät“ („Stalins Kühe“, 2003) handelt von der missratenen Integration estnischer Migranten in Finnland.


Posts über Oksanen im estland-Blog

Die Presse:
Sofi Oksanen liest am 17. September, 20 Uhr, im Wiener Theater Rabenhof, Rabengasse 3, aus ihrem Buch.s


Hinweis im Artikel:
Es muss brennen


Und weitere Daten der Lesetour und ein Blogpost in Die Poeten.
Eine längere Rezension findet sich in Neue Zürcher Zeitung:
Wenn Frauen Freiheit üben

Donnerstag, September 09, 2010

Herbst


punane
Originally uploaded by Tauno Erik
Untrügliches Zeichen im Wald.

Aber auch Fußballzeit. Die baltischen Nationalmannschaften haben sich gut verkauft. Erstmal Estlands lange Führung gegen Italien, die aber dann verloren ging. Und dann der Sieg Litauens gegen die tschechische Elf. Mal schauen, wie es weiter geht.
Estland gegen Serbien im Oktober.