Sonntag, März 28, 2010

Baltikum - Getrennte Wege

Über 100 Jahre lang durchlebten die drei baltischen Staaten die Zeitläufe mit ähnlichen Erfahrungen und Brüchen. Deutsche Dominanz (außer Litauen), russische Herrschaft, 1. Weltkrieg mit deutscher Besatzung, dann teilweiser sowjetischer Besatzung, Unabhängigkeitskriege, Unabhängigkeit, sowjetische Besatzung, deutsche Besatzung, sowjetische Besatzung, Singende Revolution, NATO-Mitgliedschaft, EU-Mitglied, Schengen. Nun könnten sich wieder getrennte Wege anbahnen, wenn Estland tatsächlich in den Kreis der Euro-Länder aufgenommen wird. 2011 ist es möglich, denn die Kriterien werden weitgehend erfüllt.
Getrennt, aber nur vorübergehend. Die Nachrichten der letzten Tage sprechen für eine Aufnahme Estlands.

Donnerstag, März 25, 2010

Was soll, was muß die Regierung wissen?

Jüngst hatten sich die Esten in einer Umfrage dafür ausgesprochen, daß die Pressefreiheit im Interesse der nationalen Sicherheit auch einmal eingeschränkt werden dürfe.

Nun hat Justizminister Rein Lang einen Gesetzentwurf über den Informationsquellen eingebracht, der Journalisten dazu zwingen würde, gegebenenfalls ihre Informanten öffentlich bekannt zu geben. Der Entwurf umfaßt eine Liste von Fällen, in denen diese Forderung erhoben werden kann. Im Falle des Verstoßes drohen Geld- und sogar Gefängnisstrafen.

Das verstößt nach Ansicht von Journalisten gegen die Pressefreiheit. Als Protest gegen diesen Vorstoß erschienen jüngst zahlreiche estnische Zeitungen wie Postimees, Eesti Päevaleht, Maaleht, Õhtuleht und die Wochenzeitung Eesti Ekspress mit leeren weien Seiten. Dieser Aktion schlossen sich ebenfalls russischsprachige Organe an.

Der Gesetzentwurf sieht vor, die Journalisten zu verpflichten, notfalls ihre Informationsquellen offen zu legen. Somit werden die Journalisten kein Recht mehr haben, ihre Informanten zu schützen, auch dann nicht, wenn sie anonym bleiben wollen.

Mittwoch, März 24, 2010

Das vermeintliche EU Babel

Als jüngst für Estland und Lettland, und eben nur für diese beiden Länder, Brüsseler Informationsmaterial auch auf Russisch erschien, schrillten vor allem in Lettland die Alarmglocken.

Dienstag, März 23, 2010

Estland und Griechenland

Eine Verbindung? In Estland denken sie schon darüber nach. Beide sind EU-Länder. Nur eins hat den Euro, eins nicht. Eins meint, die Euro-Kriterien besser zu erfüllen. Dreimal raten, wer das ist?
Flasher hat seine Meinung dazu formuliert, er ist gerade in Brüssel:
Estonia is busy with an all-encompassing national project. Successfully adopting the Euro is a far bigger step in ensuring Estonia's future security than any foreign policy troll-bait being catapulted in the Kremlin's general direction. Since we appear to have gotten under the wire on all the actual numbers, the only reason we could be kept out of the Eurozone is if the governments get together and decide they just don't want us in. There is, apparently, some measure of personal discretion involved. Yes, the big boys are currently pissed off at Greece, but we can keep emphasizing the fact that Estonia is the exact opposite of Greece in terms of fiscal responsibility, and our reps need to stay on-message in Brussels.

Etwas kryptisch, aber er meint, es sei egal für die Sicherheit Estlands, ob Präsident Ilves zu den Moskauer Feiern zum Ende des Zweiten Weltkriegs (in Europa) fährt.
Wohlgemerkt in Europa, denn der Weltkrieg ging weiter. Aber das wird in Europa regelmäßig vergessen: Es waren die USA, die am Ende einen Zwei-Frontenkrieg führten. Es gibt Geschichtsbilder, die lassen sich nicht so leicht überbrücken. Aber der Euro, der könnte neue Fakten schaffen, in Estland, und das ist wichtig. Sagt Flasher.

Montag, März 15, 2010

Spätwinter


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Originally uploaded by Kain Kalju
Kain Kalju hat einige Eindrücke über dem Eis an der Küste festgehalten. Ein Schnappschuss der vielen Zug- und Wasservögel, die sich dort zur Zeit aufhalten.

Mittwoch, März 10, 2010

Grenzüberschreitungen

Bei geteilten Städten denkt der Deutsche zunächst einmal an Berlin, vielleicht noch an zypriotische Hauptstadt Nikosia oder auch Beirut während des Bürgerkrieges. Doch es gibt es Beispiel auch im Baltikum: Walk. Die Stadt in Livland war jahrhundertelang nicht geteilt, weil es an dieser Stelle trotz der gemischten estnischen und lettischen Bevölkerung Livlands keine Grenze gab. Die Entstand erst mit der Unabhängigkeit Estlands und Lettlands nach 1918. Aus Walk wurden das estnische Valga und das lettische Valka, das faktisch nur die südwestliche Vorstadt des Ortes umfaßte. Doch diese Teilung hielt ebenfalls nur etwa 20 Jahre an, denn mit der Inkorporation der baltischen Staaten in die Sowjetunion 1940 verschwand die Grenze wieder.

Das nationale Selbstbewußtsein trug nach der neuerlichen Unabhängigkeit 1991 dazu bei, daß die Esten auch in Vorbereitung auf den erhofften EU-Beitritt ihre Grenzen befestigen. In dieser Zeit zeichnete sich noch nicht ab, daß gleich zehn Staaten gleichzeitig der EU würden beitreten können. Während also in berlin die Mauer fiel, wurde in Walk eine Grenze gezogen.

Das bedeutete natürlich nicht, daß keine Esten mehr nach Lettland und Letten nach Estland fahren konnten. Probleme gab es trotzdem zahlreiche. Zunächst nämlich wurde zum Grenzübetritt noch gestempelt, Personalausweise gab es damals überhaupt nicht. Auf diese Weise waren die Pässe aber zügig voll und die Betroffenen waren gezwungen, vor Ablauf der Gültigkeit neue Dokumente zu beantragen. Manche Menschen wohnten im einen Teil der Stadt, arbeiteten aber im anderen. Für Verwittwete Personen wurde sogar der Friedhofsbesuch damit plötzlich eine Geldfrage.

Besonders betroffen waren die Einwohner russischer Nationalität, Migranten aus der Sowjetzeit, die wegen der Gesetzgebung in Lettland und Estland mit dem Status der Staatenlosen besonders große Schwierigkeiten beim Grenzübertritt hatten, weil sie für das jeweils andere Land auch noch ein Visum benötigten.

Am schlimmsten traf es jedoch eine Reihe von estnischen Staatsbürgern, Bewohner einer kleinen Straße, die auf estnischer Seite põhja, Nordstraße, und auf der lettischen Seite savienības, Unionsstraße heißt. Die Esten hatten sich hier in der Sowjetzeit Eigenheime errichtet, von denen ein Teil sich nach der Grenzziehung von 1920 aber auf lettischer Seite befand. Der Vorschlag eines Staatsgebietsaustausches wurde von lettischer Seite abgelehnt.

Mitte der 90er Jahre begann nach dem Vorbild der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der Städte Haparanda und Tornio in Schweden und Finnland Besserung. Einzig für Personen aus dritten Staaten blieb es lange unmöglich, einen der drei Grenzübergänge im Stadtzentrum zu nutzen. Für nicht motorisierte Besucher ein großes Problem. Seitdem das Schengener Abkommen auch in Estland und Lettland gilt, sind diese Schwierigkeiten vollumfänglich beseitigt.

Obwohl die physische Grenze verschwunden ist, bleibt natürlich eine juristische, und so sind andere Ärgernisse geblieben. Darum besuchten jüngst Delegationen der Außenministerien beider Staaten die Stadt, um sich über die aktuelle Situation zu informieren. Dabei stellte sich heraus, daß es im Bereich Kultur und Sport eine umfangreiche Zusammenarbeit gibt, diese sich damit aber auch erschöpft.

Für Probleme sorgt die Infrastruktur. Zwar nimmt das Krankenhaus in Valga Patienten aus Lettland auf, die ohne europäische Versicherungskarte aber die Rechnung selbst begleichen müssen. Bringt eine Lettin ein Kind in Estland zur Welt, sind notariell beglaubigte Übersetzungen der Dokumente erforderlich, damit das Kind als lettischer Staatsbürger registriert werden kann.

Ähnlich kompliziert verhält es sich mit dem Zugverkehr. Von Riga und von Tallinn gibt es Verbindungen, die lettischen Züge halten sogar am im estnischen Valga gelegenen Bahnhof, doch die Abfahrtszeiten sind schlecht abgestimmt und verlangen stundenlanges Warten. Noch schwierigere Zustände betreffen den Nahverkehr. Obwohl die lettische Seite einen Bus angeschafft hatte, läßt sich die gewünschte Linie nicht realisieren, denn während in Estland Rentner gratis fahren, müßten sie nach dem Grenzübertritt einen Fahrschein kaufen.

Die beiden Delegationen zeigten sich nach Angaben der lettischen Presse überrascht daüber, wie viel in Valga Valka abhängig ist von Entscheidungen, die nur in der hauptstadt getroffen werden können. Die Delegationen besuchten die geteilte Stadt, weil sie ihren Regieungschef Bericht erstatten sollen.

Samstag, März 06, 2010

Einschränkung der Meinungsfreiheit versus Sicherheit

In Deutschland ist die Vorratsdatenspeicherung Gegenstand heftiger Diskussionen. Eine Umfrage in der estnischen Hauptstadt Tallinn hat nun ergeben, daß 44% mit einer Einschränkung der Meinungsfreiheit im Interesse der Sicherheit einverstanden wären. 41% hingegen sind dagegen. 15% waren sich unsicher.

Mit 500 Befragten ist das Ergebnis gewiß nur bedingt repräentativ. Doch es zeit sich, daß jüngere Menschen eher gegen Einschränkunegn sind als ältere sowie interessanterweise eher Esten dafür sind als Vertreter der Minderheiten.

Weitere Zahlen der Umfrage erscheinen widersprüchlich. 73% meinen zwar, in Estland könnten alle ihre Meinung frei äußern, doch nur 30% wären bereit, an Demonstrationen teilzunehmen, wohingegen 23% das eher nicht oder ganz sicher nicht wagen würden.

Das Nach Ansicht von 53% der Befragten die Zeitungen in Estland die Parteien nicht gleich behandeln, ist hingegen weniger verwunderlich. Das fordert die Meinungsfreiheit einerseits nicht und gleichzeitig interessiert sich auch wohl die Leserschaft nicht gleichmäßig für alle Parteien. Das Zeitungen eine politische Richtung bevorzugen, hat sich auch in Estland als Allgemeinplatz noch nicht durchgesetzt.

Mittwoch, März 03, 2010

Wer folgt auf Ilves?

EU-Kommissar Siim Kallas hat erst jüngst verlautbart, sich für den Umzug in Schloß Kadriorg, den Sitz des estnischen Präsidenten, nicht zu interessieren. Der 2006 gewählte Amtsinhaber Toomas-Hendrik Ilves kann außerdem für eine zweite Amtszeit kandidieren. Die nächste Wahl ist in anderthalb Jahren, im Herbst 2011.

Die estnische Verfassung sieht die Wahl des Präsidenten mit 2/3-Mehrheit durch das Parlament vor. Gelingt dies nicht, wird aus Vertretern der kommunalen Parlamente und den Abgeordneten von Riigikogu ein spezielle Versammlung einberufen. Da noch keine Koalition seit 1992 breit genug angelegt war, wurde der Präsident mit der Ausnahme auch vom Wahlverfahren 1992 immer erst in diesem Gremium bestimmt. Und da kann es zu unerwarteten Mehrheiten kommen.

Die Volksunion, welche mit Arnold Rüütel Ilves’ Vorgänger stellte, ist nach den Skandalen um ihren früheren Vorsitzenden politisch wenig erfolgreich gewesen. Bei den Kommunalwahlen im vergangen Herbst brachte sie es landesweit nur auf 1,9% der Stimmen. Mehr oder weniger besser abgeschnitten hat die Partei im zentralestnischen Jõgevamaa, in Ida-Virumaa an der Grenze zu Rußland, auf der Insel Saaremaa und in Pärnumaa. Dennoch stellt sie in 39 Gebietskörperschaften den Ratsvorsitz.

Das wurde möglich, weil zahlreiche Mitglieder der Partei in örtlichen Listenkoalitionen kandidiert haben und dann zum Vorsitzenden des Rates gewählt wurden. Die parteipolitische Verteilung dieser Position ist aber wiederum eher ein Ausweis für das örtliche Koalitions-Farbenspiel als für die absolute Stärke der Parteien, denn die Ämterbesetzung ist überall das Ergebnis politischer Kompromisse.

Und so gehören seit der letzten Kommunalwahl 77 Ratsvorsitzende überhaupt keiner Partei an und wurden über örtliche Listen gewählt; das ist etwa ein Drittel aller Kommunalparlamente. Vaterland und Res Publica stellen die zweitstärkste Gruppe gefolgt von der Reformpartei. Die oppositionelle Zentrumspartei stellt 25 Ratsvorsitzende, darunter in den beiden großen Städten Tallinn und Tartu, während die Sozialdemokraten nur zehn und die im nationalen Parlament vertretenen Grünen überhaupt keinen Vertreter vorweisen können. Damit haben die Regierungsparteien unter den Ratsvorsitzenden der Kommunalparlamente keine Mehrheit.

Ist diese Position im politischen Alltagsgeschäft weniger wichtig, wird sie gleichzeitig wegen des Gremiums für die Präsidentschaftswahl plötzlich interessant. Auch unter Berücksichtung der 101 Riigikogu-Abgeordneten stellten 2006 die Ratsvorsitzenden allein ein Drittel der Delegierten in dieser Versammlung.

Nicht unbedeutend ist außerdem die Rolle der ethnischen Minderheiten. Da in Estland auch ständige Einwohner ohne etsnische Staatsbürgerschaft über das kommunale Wahlrecht verfügen, beeinflussen sie indirekt auch die Wahl des Präsidenten.

Und wer wird es nun? Ilves ist nicht unpopulär, er kann wiedergewählt werden und unter den Regierungsparteien wird er eher Zustimmung als Ablehnung erfahren. Viel hängt folglich davon ab, welche Parteien welche weiteren Kandidaten portieren. 2001 hatte eine liberal-konservative Regierung eine Parlamentsmehrheit. Trotzdem gewann Arnold Rüütel die Wahl gegen den Tartuer Professor Peeter Tulviste.

Schnee von gestern

Manchmal wird mancherorts gestohlen, andernorts dafür illegal Müll abgeladen. Das ist nicht erlaubt und wird bestraft, wenn die Behörden der Täter habhaft werden. Das geschieht unabhängig von der Jahreszeit, also auch im Winter bei Schneen und Eis. Dieses Jahr war der Winter in Estland wieder einmal besonders schneereich. Schon im Januar gab es Rekordniederschläge, doch auch im Februar schneite es viel. Aber der Staat wurde Montag morgen im Tallinner Trabantenvorort Lasnamäe von etwas ganz Neuem überrascht. Unbekannte hatten in Ljuba 4, einem dem Staat gehörenden Grundstück, ca. 1.500 Kubikmeter Schnee entsorgt. Auf dem 1.600 Quadratmeter großen Gelände befand sich früher eine Polizeiwache, doch einstweilen wird es als Parkplatz genutzt. Die Polizei ist alarmiert und man hofft, die Täter zu stellen. Wieviel den Staat die seinerseitge Entsorgung des Schnees kostet, konnte die Verwaltung noch nicht beziffern. Offensichtlich will sie aber nicht einfach nur auf den Frühling warten.

Dienstag, März 02, 2010

Estland - 92 Jahre

Im vorletzten Post ging es um Symbole. Das neue Freiheitsdenkmal in Tallinn auf dem Vabaduse Väljak, dessen Ausführung umstritten ist.
Sichtbar sind die militärischen Symbole aus dem Freiheitskrieg der Gründungsjahre der Republik.
Aber auch sichtbar im Zusammenhang der Gründung der Republik ist eine andere Tradition. Die der Studentenverbindungen. Im Foto bei der Feier zum Jahrestag der Unabhängigkeitserklärung. Mützen und Zeichen der Verbindungen gehören zum Alltagsbild der Universitätsstadt Tartu.
Erstankömmlinge aus Deutschland bringen oft eine Abneigung gegen diese Studentischen Traditionen mit. Aber am Ende ist es ein deutsches Problem, damit umzugehen.
Die estnische Fahne stammt übrigens aus Studentenkreisen.

"Sie wurde erstmals als Fahne des Vereins Studierender Esten (estnisch: Eesti Üliõpilaste Selts oder EÜS) einer Studentenverbindung an der Universität Tartu bekannt, für die sie am 4. Juni 1884 im Pastorat von Otepää geweiht wurde. Sie wurde später mit dem estnischen Nationalismus in Verbindung gebracht und während der ersten estnischen Unabhängigkeit ab 1918 als estnische Flagge verwendet. Formell wurde die Flagge am 21. November 1918 zur Nationalflagge erklärt." Wikipedia

Foto von Ekke Vasli