Dienstag, Juni 30, 2009

Esten erobern Münster - für 5 Tage

Selbstverständlich wäre das westfälische Städtchen Münster auch so eine Reise wert gewwesen. Aber die Menschen, die am in den vergangenen fünf Tagen aus aller Welt dort zusammen kamen, verbindet eine ganz besondere Gemeinsamkeit: es sind Estinnen und Esten. ESTO 2009 heißt das alle vier Jahre stattfindende Event der "Esten aus aller Welt", das seit 1972 regelmäßig stattfindet. Die ehemaligen Veranstaltungsorte sind - durch die Besetzung und Eingliederung Estlands in die Sowjetunion erzwungen - auch bevorzugte Orte des jahrzehntelangen Exils in fremden Ländern: nach Toronto, Baltimore, Stockholm, Melbourne, New York und Riga war jetzt Münster an der Reihe. Nach dem 2.Weltkrieg kamen viele Estinnen und Esten zunächst in den sogenannten DP-Lagern unter - eine Durchgangsstation, deren manchmal abenteuerliche Verhältnisse und Umstände heute sorgsam dokumentiert werden. Dazu kommen mehrere Generationen zusammen: diejenigen, die noch in Estland geboren sind, andere die in Deutschland oder in anderen Ländern als Kinder ihrer estnischen Eltern groß geworden sind, und die ganz jungen, die als Enkelin- nen und Enkel heute auch wieder ins freie und unabhängige Estland reisen können und manchmal gar nichts anderes kennen - 20 Jahre ist die Wiedererlangung der Unabhängigkeit jetzt schon wieder her.

Münster hätte sich vielleicht ein wenig festlicher präsentieren können, dem Anlaß angemessen. Zwar erwies sich die Halle Münderland als angenehmer zentral
er Veranstaltungsort, aber die vielen Baustellen in der Innenstadt erweckten manchmal auch andere Gedanken: weniger die historischen Gebäude fielen auf (da viele sich derzeit hinter Bauzäunen verstecken), sondern eher die Namen wie "Karstadt" oder "Easykredit", die an die Finanzkrise mahnen, die in Estland noch wesentlich härtere Auswirkungen hat.

Aber lassen sich Esten dadurch beirren? Natürlich nicht! Mancher mag sie für wortkarg und zurückhaltend halten, aber beharrlich sind sie ja nun auch.
Und die Freude, einmal wieder Estinnen und Esten aus aller Welt zu treffen, ließ sich keiner nehmen. Da ist Musik, Gesang und Tanz angesagt: nicht nur in Form von Konzerten oder Verführungen, so wie es die Deutschen und Münsteraner erlebt haben mögen, die bei einer der Veranstaltungen zu Gast waren, sondern vor allem als selbst-gemachte Kultur. Mit-singen und Mit-tanzen heisst offenbar auch Mit-Este sein.

Dennoch - oder gerade deshalb? - werden die meisten Estinnen und Esten in Münster eher unter sich geblieben sein. Sich wiederzutreffen war ja eines der hauptsächlichen Ziele. Rund 1000 Teilnehmer/innen waren gekommen - nach Aussagen
der Veranstalter etwas weniger als geplant. Aber das mag auch am großen Estnischen Sängerfest liegen, das ebenfalls jetzt direkt nach Ende des ESTO 2009 vom 2.-5.Juli in Estland stattfindet. Für Est/innen aus USA, Kanada oder Australien sicher ein Grund, beide Ereignisse miteinander zu verbinden (Münster und Tallinn), aber andere kombinierten vielleicht lieber Mittsommer und Sängerfest miteinander und genießen also schon jetzt laue Sommertage in Estland.

Manche charakteristischen Elemente früherer Zusammenkünfte - Resolutionen und politische Forderungen - scheinen heute, im Zeitalter der wieder erlangten Unabhängigkeit und des Zusammen- wachsens von Europa - nicht mehr nötig. Parolen oder Spruchbänder waren in Münster beim Großen Festumzug am 28.Juni jedenfalls keine zu sehen. Aber ein wenig mehr Interesse und Aufmerksamkeit, vielleicht auch Unterstützung, hätten die Veranstalter sicher von deutscher Seite vielleicht doch gerne gesehen. Bis auf die Lokalpresse fand das Ereignis - als Weltkongress der Esten immerhin zum allerersten Mal in Deutschland! - in den deutschen Medien so gut wie gar nicht statt. Singen und Tanzen im manchmal so absichtsvoll bemühten "multikulturellen" Deutschland keine Sensation?

Einen Grund der "Entschuldigung"gibt es: jede/r hat heute, auch diesen Sommer, die Möglichkeit, auch spontan einfach selbst mal nach Estland zu fahren. Da ist erlebbar, was Estinnen und Esten in aller Welt an Kultur, Sprache und Tradition mit am Leben erhalten geholfen haben.
Also: Nichts wie hin zum LAULUPIDU, es beginnt schon übermorgen in Tallinn!

Mehr Fotos von ESTO 2009 gibt es hier (wird ergänzt)


ESTO2009 Veranstalterinfo

Ausführliche Berichte, Interviews, Musik von ESTO 2009 gibt es am Dienstag, 7.Juli 2009 ab 19.05 auf Radioweser.tv in der BALTISCHEN STUNDE. (auch online hörbar!)


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