Sonntag, Februar 08, 2009

Dreimal Vorbild Estland

Manchmal ist es geradezu beängstigend, wie oft sich mediale Gewohnheiten einprägen, und ständig wiederholt werden. Da werden Themen der (relativ kleinen) baltischen Staaten, mit ihrer natürlich durch ihre jeweils eigenen Sprachen geprägten medialen Selbstwahrnehmung, oft lange Zeit litaneiartig abgelehnt oder für unwichtig erklärt. Aber hat Estland es einmal mit einem "Branding" in die internationale Öffentlichkeit geschafft, zieht es ungeahnte, ständig wiederholte Kreise.


Beispiel 1: Maßnahmen gegen Cyberwar als "estnische Erfindung"

Zwar war das kleine Estland ja eher "Betroffener" eines Angriffs auf die virtuellen Kommunikationswege, aber inzwischen wird auch die Reaktion darauf als estnisch geprägt eingeschätzt. So berichtet der SPIEGEL in dieser Woche: "Bundeswehr baut geheime Cyberwar-Truppe auf". Bei der Ortangabe des Übungsplatzes beschleichen manche vielleicht auch unangenehme Gefühle (Rheinbach bei Bonn), denn nahe Bonn wurden auch schon mal kilometerweise unterirdische Atomschutzbunker gebaut, weil die damalige Bundesregierung sich öffentlich nicht zu sagen traute, dass dies alles gegen eine atomare Kathastrophe nichts helfen wird. Laut SPIEGEL trainieren die Damen und Herren im Rheinischen den "elektronischen Ernstfall, wie es ihn zuletzt in Estland und Georgien gab." Ob damit eher gemeint ist, dass nun estnische Probleme auch in Deutschland ernst genommen werden, oder ob es nur als Warnzeichen möglicher Bedrohungen gesehen wird (wo dann wieder Einschränkungen der demokratischen Freiheit mit dem Vorhandensein diffuser Bedrohungen gerechtfertigt werden), das muss vorerst unklar bleiben. (Bericht auch bei Heise/Telepolis - dort auch eine Menge Leserreaktionen darauf)

Beispiel 2: Bundeskabinett verabschiedet Bürgerportalgesetz
Wie ebenfalls auf "Heise online" ausführlich fachlich kommentiert wird, ist ein vom Bundesinnenministerium erarbeitete Gesetzentwurf über Einrichtung und Betrieb von "Bürgerportalen" von der Bundesregierung verabschiedet worden. "De-Mail steht für Fortschritt, IT und IT-Sicherheit made in Germany", hat angeblich Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) das Projekt gelobt. Aber schnell folgt das Zugeständnis zumindest der Fachpresse: "Mit De-Mail folgt Deutschland in gewisser Weise dem e-Vorbild Estland."

Beispiel 3: Bauern lernen Fremdsprachen: in Estland!
Wie die Schweriner Volkszeitung berichtet (und gleich auch noch eine nette Karikatur zum Thema anbietet), lernen Bauern aus der Region Bützow nun verstärkt "Agrar-Englisch". Gegenwärtig eilt es offenbar besonders, denn "im Frühjahr und Sommer haben die Bauern wenig Zeit", das haben auch die Veranstalter der Kurse erkannt. Möglich also, dass wir auf mecklenburger und vorpommerischen Bauernhöfen also demnächst auch mit einem "Good morning, nice to see you" begrüßt werden könnten.
Woher haben die Bützower Bauern Idee und Erkenntnis? "Bei einem Besuch in Estland ist mir aufgefallen, dass mein Englisch nicht so gut ist", muss selbst Bauernverbands-Geschäftsführerin Katrin Kauer zugeben. Nun ja: zwar ist es zwischen "Estnisch" und "Englisch" noch ein kleiner Schritt, aber eins steht ja schon mal fest: uninteressant kann der Besuch in Estland ja nicht gewesen sein, wenn mecklenburger Bauern gerne noch mehr davon verstehen wollen. Übrigens: Bützow unterhält eine Partnerschaft mit Sillamäe in Estland.

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