Sonntag, September 30, 2007

Estland und Burma

Manche in Deutschland bestehen auf den Begriff Myanmar für Burma/oder Birma. Aber das ist Ansichtssache. Basic Thinking Blog ist eine der zentralen deutschsprachigen Bloggererschaltstellen für Infos aus Burma und Reaktionen gegen den Militäreinsatz dort.
Burma ist auch in Estland ein Begriff vor allem durch diesen Mönch, vormals Karl Tõnisson, später Vend Vahindra:


Buddhism arrived in Estonia in the beginning of the 20th century with the Buddhist monk Brother Vahindra (civil name Karl Tõnisson, also known as Karlis Tennissons). Born in 1873 near Põltsamaa (Estonia), the XIII Dalai Lama designated him as the first Buddhist Archbishop of Latvia, Estonia and Lithuania. Brother Vahindra was a colourful figure who became the subject of Estonian folklore. He left Estonia in the 1930s and died a saint in 1962 in Burma.


aus Buddhism in Estonia, Estonica.org

Mehr Hintergrund zu dem rätselhaften Mönch hier von Alois Payer:
"Karlis Alexis Tennisons wurde 1873 im Gouvernment Wilna als Sohn katholischer Eltern geboren. Er war Litauer von Geburt (das kleine 3-Millionen-Volk der Litauer bekennt sich fast vollzählig zum römisch-katholischen Glauben) und war als junger Mann zur buddhistischen Lehre gestoßen. Er sammelte in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts eine kleine Gemeinde von Landsleuten um sich, denen er die Lehre Buddhas lehrte. Bald stießen auch einige Livländer, Esten, Russen und Polen zu dieser Gemeinschaft. Einer der engsten Mitarbeiter Tennissons wurde ein Deutsch-Balte, Friedrich von [richtig: Voldemar] Lustig. Es war die erste buddhistische Gemeinde weißer Rasse auf europäischem Boden. Nicht Deutsche, Engländer oder Franzosen gründeten die erste buddhistische Gemeinde in Europa, sondern Litauer. (Im Jahre 1956 entdeckten europäische Buddhisten im thailändischen Dschungel eine alte buddhistische Nonne. sie war Litauerin und eine Schülerin von Karlis Alexis Tennissons.)

Inzwischen war Tennissons vom 13. Dalai-Lama zum Buddhistischen Erzbischof von Litauen, Estland und Lettland ernannt worden. Er leitete und beaufsichtigte den Bau des Tempels [in Petersburg 1907], segnete -- wie er später zu seiner Rechtfertigung schrieb -- jeden Stein und sah sein Werk langsam wachsen. Die feierliche Einweihung das Petersburger Buddhistentempels fand 1915, mitten im Ersten Weltkrieg statt. Der Tempel von Petersburg ist der erste uns bekannte buddhistische Sakralbau auf europäischem Boden. 1917 wurde der Tempel von Rotgardisten geplündert und geschlossen. Einige Jahre später wurde er wiedergeöffnet, freilich nicht als Sakralstätte, sondern als Labor ...

Noch mehr Fotos bei Wikipedia: Buddhism in Estonia.
Sollte jemand Probleme mit der Swatiska, dem "Hakenkreuz" im Photo haben, es ist eines der zentralen Symbole des Buddhismus.

Samstag, September 22, 2007

Staatenlose in Estland

Eine Agenturmeldung macht die Runde - wieder wird Estland kritisiert. Die Quote der Staatenlosen in Estland, die jährlich die estnische Staatsbürgerschaft erhält, sei zu gering. Die letzten der noch über 100 000 Staatenlosen würden bei der jetzigen Anzahl erst in 20 Jahren eingebürgert.
Der Vorwurf stammt von Rene Van der Linden:
"We cannot accept in Europe, in so many countries, member states with so many stateless people," the president of the Council of Europe's Parliamentary Assembly, Rene Van der Linden, told a news conference.
He said Estonia's programme of granting citizenship meant between 5,000 and 7,000 new citizens were created each year.
"I expressed my concerns on this situation and I hope sincerely that the government will push this forward because if you have 100,000 or more stateless persons and it takes 5,000 a year, that means it takes 20 years," he added.


Bei den Vorwürfen wird häufig der Begriff Russen benutzt. Aber passen die Staatenlosen in Estland in eine Kategorie?
Sergej Magaj passt jedenfalls nicht in ein vorgefertigtes Schema. Der neueste Stand 2007: Er strebt nicht mehr die estnische Staatsbürgerschaft an, ein Sohn von ihm hat in den USA Fuß gefasst. Magajs Restaurant in Tallinn bleibt sein Lebensmittelpunkt. Er hatte vor kurzem einen Schlaganfall erlitten und musste deshalb Geschäftsideen in Rußland, vor allem in Moskau, aufgeben. Er steht den Auseinandersetzungen um den Bronzenen Soldaten so fern, dass er meinte, die Esten hätten die Randale in Tallinn verursacht im vergangenen April. Auch er hatte Angst um sein Geschäft, dass es geplündert oder zerstört werden könnte. 1994 habe ich ihn das erste Mal getroffen. Grundsätzlich hat sich nicht viel geändert in dem Restaurant Ariran in Tallinn, nur die Fotos sind aktuell.
Sergej Magaj
Tallinn Ariran
Juni 1994, InfoBlatt Baltische Staaten 2/94
Als Koreaner in Estland
Das Restaurant Ariran des Sergej Magaj in Tallinn
Esten und Russen sind die beiden stärksten Bevölkerungsgruppen der Hauptstadt Estlands. Unter ihnen leben aber auch Zuwanderer und Nachkommen anderer Völker und Nationen, wie z.B. die kleine Gemeinde der Koreaner, die kaum mehr als 200 Personen umfaßt. Haupttreffpunkt der Koreaner in Tallinn ist das Restaurant Ariran, unter dessen Dach sich auch das estnisch-koreanische Kulturzentrum befindet.
Tallinn
Das Ariran gehört zu den ethnischen Restaurants, die in den letzten Jahren mit der beginnenden Privatisierungswelle eröffnet wurden. Bekannt unter ihnen sind vor allem das Maharaja (Indisch) und das Ai Sha Ni Ya (Chinesisch).
Ariran ist koreanisch und gleichzeitig der Titel eines bedeutenden Volksliedes der Halbinsel zwischen China und Japan. Im weitesten Sinn ist Ariran Ausdruck für Freude und Not der einfachen Menschen Koreas, das bis vor wenigen Jahrzehnten überwiegend von Kleinbauern bewohnt war. Gesang hat für die Koreaner einen ähnlich hohen Stellenwert wie für die baltischen Nationen.
Das Lied entwickelte sich während der letzten großen Dynastie zu einem Symbol der koreanischen Identität, das in unzähligen Variationen gesungen werden kann. Das jahrhundertelange Regierungssystem der Yi-Dynastie wurde erst vor dem Ersten Weltkrieg ausgelöscht.
Der Inhaber des Ariran, Sergej Magaj, trägt einen russischen Namen. Aber eigentlich hieß sein Vater Ma. Das ist ein Name mit chinesischer Herkunft, der auch in Korea verbreitet ist. Der Vater stammte aus der Hafenstadt Pusan und wurde im Laufe des zweiten Weltkriegs in die japanische Armee zwangsrekrutiert. Das Kriegsgeschehen verschlug ihn auf das Gebiet der ehemaligen Sowjetunion.
Später lebte er in der Sowjetrepublik Usbekistan, wohin zehntausende seiner Landsleute aus den chinesisch-russischen Grenzgebieten deportiert worden waren. Es war die Zeit der großen Umsiedlungen, die der Despot Stalin in den vierziger Jahren angeordnet hatte.
Der Vater heiratete eine Russin. Er verlor seinen ursprünglichen Familiennamen. Von jetzt an hieß er nicht mehr Ma sondern Magaj. Bis auf die Familien Kim wurden die meisten Koreaner umbenannt.
Ein Teil der Koreaner ging anschließend ganz in der Gesellschaft der russischen Bevölkerung auf. Andere wiederum versuchten alte Traditionen und die Muttersprache mit der dazugehörigen Schrift am Leben zu erhalten. Ein schweres Unterfangen, da ein entsprechendes Schulsystem und kulturelle Einrichtungen nicht zur Verfügung standen. In Usbekistan konnten Magajs Söhne, darunter Sergej, wenigstens in den ersten Schuljahren die koreanische Schrift und Sprache erlernen.
Tallinn Ariran
Vor über zwanzig Jahren entschied sich Sergej, nach Estland zu gehen, wo er eine Stelle in Tallinns Hafen bekam. Das sowjetische System empfand er im Baltikum weniger bedrückend als in seinem Geburtsland Usbekistan. Sein Vater hatte ihm stets erklärt, daß der Sozialismus nicht für Menschen geschaffen sei. Die ablehnende Haltung gegenüber diese Gesellschaftsordnung gab er an den Sohn weiter. Dazu kamen die Seitenhiebe und Demütigungen einiger Russen, die gerne herablassende Bemerkungen über die "kleinen" Koreaner machten.
In einer Moskauer Metrostation hatte er darüber einmal seine Zurückhaltung verloren und vor aller Öffentlichkeit zwei vorlaut arrogante Passanten aufgemischt. Als die Umwälzungen in Estland Ende der Achtziger stattfanden, und sich die Sowjetunion allmählich auflöste, nutzte er die Möglichkeit, sich selbstständig zu machen.
Sein Hauptinteresse galt dem Aufbau eines koreanischen Restaurants. In der Telliskivi, einer Straße hinter dem Hauptbahnhof, fand er ein altes einstöckiges Holzhaus, das zum großen teil schon zerfallen war. Bei der Stadtregierung erhielt er eine Baugenehmigung, die er für die gründliche Renovierung des Hauses benötigte. Ein eingetragener Besitzer konnte nicht ausfindig gemacht werden.
Etwa 60 000 Dollar investierte er in den Wiederaufbau. Das Gebäude bekam einen gelbbraunen Anstrich und einen neuen Hof. Das Erdgeschoss wurde für die Gäste und die Küche eingerichtet. Neben koreanischen werden hier auch zentralasiatische Gerichte angeboten. Einer der Stammkunden ist der koreanische Botschafter in Helsinki. Ansonsten sind die Kunden russischer Abstammung.
Tallinn Gimchi-chigae
Das Restaurant gehört zum guten Standard in Tallinn; der Innenraum ist mit koreanischer Dekoration ausgestattet.
Zenzen viin
Auf Verlangen erhält der Gast sogar Eßstäbchen - und so lange der Chef anwesend ist, wird im Hintergrund anstelle der obligatorischen Popmusik auch Volkstümliches aus Korea gespielt. Das Personal besteht nämlich aus Russen und Koreanern zugleich; Umgangssprache ist dagegen ausschließlich Russisch. Möglicherweise eine Ursache dafür, dass Esten selten unter den Gästen zu finden sind.
Als das Restaurant vor drei Jahren fertiggestellt war, meldete sich doch noch ein Besitzer, der jetzt da gesamte Haus zurückerhalten möchte. Die neue Stadtregierung erkennt die Verträge, die Sergej Magaj in sowjetischer Zeit abgeschlossen hatte, nun nicht mehr an. Die Eigentumsfrage ist dadurch wieder völlig offen. Der Ärger über den angeblichen Eigentümer ist umso größer, als dieser selbst in Tallinn wohnt und in der Zwischenzeit gesehen haben mußte, daß das Haus renoviert wurde.
Für Sergej Magaj steht fest: Er möchte estnischer Staatsbürger werden. Falls seine Sprachkenntnisse für den Anerkennungstest noch nicht ausreichend genug sein sollten, hofft er auf die Fürsprache seiner estnischen Freunde. Dann kann er endlich seinen roten sowjetischen gegen einen blauen estnischen Pass eintauschen. Die Alternative russische Staatsangehörigkeit kommt für ihn nicht in Frage. Außer der Sprache hat er keine besondere Bindung an Rußland. Zur russischen Kultur hält er bewußt Abstand: z.B. hat er in seinem Haus Platz für eine Buddha-Statue freigehalten, obwohl er wie viele in der ehemaligen Sowjetunion nicht sonderlich religiös ist. Er benötigt den Buddha eher als Gegengewicht zu den russisch-orthodoxen Reliquien seiner Ehefrau.
Das Obergeschoß des Ariran beherbergt neben Büroräumen und einem Gästezimmer das estnisch-Koreanische Kulturzentrum (EESTI-KOREALASTE KULTUURiÜHING). Vielleicht werden von hier aus bald neue Geschäftsverbindungen mit Südkorea geknüpft, denn der Handel ist das nächste Projekt des Sergej Magaj, der übrigens noch mehrere Gaststätten unterhält und einen Teil der benötigten Lebensmittel selber produzieren läßt.
Das Kulturzentrum ist vor allem Treffpunkt der alten Koreaner, die in dem Gemeinschaftsraum wichtige Familien- und Behördenangelegenheiten besprechen. Enge Verwandtschaftsbande sind nämlich eine der Hauptstützen der koreanischen Gesellschaft.
Bis jetzt existiert das Zentrum aber nur vom Geld und dem Enthusiasmus des Inhabers und ist deshalb nur sehr spartanisch eingerichtet. Auf einem Schrank stehen die südkoreanische und estnische Fahne nebeneinander. Eine große Hoffnung ist, wenn hier die Voraussetzungen für einen unterricht in koreanischer Sprache geschaffen werden könnten. Es ist nämlich zu befürchten, daß die junge Generation der Koreaner ohne Unterstützung von außen zwischen Esten und Russen endgültig verschwinden wird.

Nachtrag 2007: Das genannte Kulturzentrum kann aus gesundheitlichen Gründen Magajs nicht mehr weitergeführt werden. Ein Teil der (koreanisch-russischen) Jugend ist bereits ins Ausland und Übersee gegangen.

Montag, September 17, 2007

Bornholm - Estland und die Befreiung durch die Sowjetarmee

Das alles liest sich anders durch die dänische Erfahrung der Besetzung bis Frühjahr 1946.
Bornholm atter frit

Man oplevede russernes sidste dage på Bornholm, dansen og musikken på kajen, og lastning af den sidste russiske damper.

Den 5. april 1946 var alt klart til afgang - og til en bornholmsk fest- og mindedag - en dag, der i historien korn til at stå som dagen for Bornholms befrielse.


Und ehrlich gesagt habe ich kaum Lust, das zu übersetzen. Es heisst dort "Befrielse", also Befreiung von den Sowjets.
Wer diesen Blog regelmäßig liest, weiß, dass oft auf Giustino verwiesen wird. Er hat eine Zeit lang in Dänemark verbracht, bevor er sich in Estland niedergelassen hat. Sein Blog dreht sich vor allem um die Gegensätze zwischen Russland und Estland. Welche Rolle spielt nun Dänemark darin? Ganz einfach. Sie haben auf Bornholm eine sowjetische Besetzung bis ins Frühjahr 1946 erlebt, und Gedenken dem Abzug als BEFREIUNG. Ein unbekannter und interessanter Aspekt der jüngeren Ostseehistorie. Anmerkung vom mir: Obwohl indirekt deutsche Geschichte betreffend, gehen die deutschsprachigen Quellen im Internet gegen Null. Hier Giustinos Post.
Ach ja, vergessen. Die Dänen waren unter den Ersten, die Estland wieder diplomatisch anerkannt haben, 1991.

Sonntag, September 16, 2007

Erasmus-Studenten in Tartu

Schade. Ein Zitat aus einem der Blogs der Neuankömmlinge in Tartu. Erasmus-Studenten aus Deutschland und Europa. Neben den üblichen ersten Eindrücken, Altstadt Tallinn, oder Szenen aus dem Pulverkeller in Tartu:
Pulverkeller
leider auch das:

An den darauffolgenden Tagen ist nicht so viel passiert, wir hatten Uni, vor allem den estnischen Sprachkurs. Der ist drei mal in der Woche für zwei Stunden. Viele machen stattdessen den Russischkurs, denn Estnisch würden doch nur 1,2 Millionen Leute sprechen. Ich finde aber schon, dass es sinnvoll ist, die Sprache des Landes, in dem man gerade lebt, ansatzweise zu sprechen.


Erasmus in Tartu WS 2007/08 und die Blogroll mit weiteren bloggenden Studenten in Tartu.

Samstag, September 15, 2007

Tallinn - ausserhalb der Altstadt


The Patarei prison in Tallinn
Originally uploaded by kalevkevad
Das Internet, die Fotoseiten mit Thema Estland sind randvoll mit Aufnahmen der Altstadt Tallinns. Unterstadt vom Domberg, Türme und vielleicht noch Pirita. Und dann wieder alles von vorne. Ich behaupte, dass das Bild Estlands durch die wiederkehrenden Motive des mittlelalterlichen Hauptstadtkerns mehr geprägt ist als Paris und Frankreich durch den Eifelturm.
Ein paar Schritte ausserhalb der Stadtmauern gibt es zwar immer noch gängige Touristenmotive, aber jede Abwechslung tut gut. Kalevkevad, hier auf unserem Blog schon öfter zitiert, war wieder unterwegs: Diesmal zum alten Gefängniskomplex Patarei, der Link führt zur automatischen Diashow.
Eines der großen aktuellen Gefängnisse liegt in Tartu, wo viele der Festgenommenen der Aprilunruhen untergebracht wurden. Infos zu Tartu und der Größenordnung aus der Seite des Justizministeriums:
There are 479 chambers and one chamber is ca 10 m2. The number of detained persons is 925 (as of 01.01.2005), incl. 550 detainees and 375 custodials. There are 361 job positions in the Tartu Prison with 269 positions belonging to prison officials.
Security is provided by 200 video cameras, assault emergency systems for the staff protection and special surveillance systems to protect the prison's almost a kilometer-long outer border.
Close to 100 detainees receive education from the Tartu Adult Gymnasium and the Tartu Vocational Education Center.


Foto: www.einst.ee

Donnerstag, September 13, 2007

Geomanten, Wünschelrutengänger und Schamanen


Wer sich längere Zeit in Estland aufhält, wird irgendwann auch mit diesen Dingen konfrontiert. Es gibt Leute, die schlechte und gute "Energieströme" unterscheiden können. Menschen in der Nachbarschaft, die mit dubiosen Methoden therapieren, so wie es Giustino, einem englischsprachigen Blogger aus Tartu, ergangen ist. In seinem Post, Nõid hat er aufgerufen ähnliche Erlebnisse zu schildern. Drei habe ich beigetragen: Von einer Familie in Voru, die meinte über schädlichen Wasseradern zu wohnen, einer Schamanin, die mittlerweile als Magnetnaine (Magnetfrau) bekannt ist und einem Esten, der in einem norddeutschen Megalithgrab, auf den großen Steinen, eine Stelle fand, wo die Energie besonders gut übertragen wird. So meinte er. Andere Kommentare bestätigen ähnliche Erlebnisse. Mir fällt noch die Geschichte zu Kalevipoeg, der Großskulptur, in der Nähe Tallinns ein. Ein Este war überzeugt, dass sie in Kriegszeiten zerstört wurde, um so indirekt die Widerstandskraft im Lande zu schwächen.
Manchmal werden diese Vorstellungen auch in Kunst umgesetzt. Rita Värnik, die "Magnetnaine" hat vor über 15 Jahren begonnen, zunächst nur mit einfachen Filzstiften, ihre Visionen umsusetzen. Mag jeder sich seine eigene Meinung dazu bilden:

Mittwoch, September 12, 2007

EESTI-Männer in Trainingsanzügen

Todesfelde - ein kleiner Ort inmitten von Schleswig-Holstein. Nicht weit von Bad Segeberg gelegen. Sportlich gesehen, verlor der Verbandsligist TV Todesfelde Ende August gegen den SV Henstedt-Rhen ein Pokalspiel mit 0:1. Die Lokalzeitung titelte: "SV Todenfelde verlor Prestigeduell".

Nun versuchen engagierte Fußballtrainer dort das Prestige von anderen aufzumöbeln: der Nationalmannschaft der estnischen Fußballjugend (U19). "Junge Männer mit EESTI auf den Trainingsanzügen geben im Raum Bad Segeberg Rätsel auf", ist in den "Lübecker Nachrichten" zu lesen.
In einem Haus des Landesjugendrings untergebracht, werden die Esten seit Anfang 2007 betreut vom Deutschen Frank Bernhard, davor Coach bei der 2.Mannschaft vom FC St.Pauli. Momentan ist ein einwöchiges Trainingslager angesetzt. „Es bedurfte einiger Überzeugungsarbeit, bevor uns das einwöchige Camp genehmigt wurde“, erzählt Bernhard der heimatlichen Presse. Klar, wer wird in Estland ausgerechnet auf eine ruhmreiche Zukunft als Fußballmacht hoffen? Der deutsche Übungsleiter meint: "Die Spitzenklubs dort haben Regionalligaformat."


Vielleicht können sich ja die estnischen Nachwuchsfußballer am Ursprung des Namens ihres Gastgeberorts orientieren. Todesfelde-online schreibt: "
Die ursprüngliche Ortsbezeichnung war "Odesfelde". Diese wurde mit der Präposition to im Laufe der Zeit versehen. Od(d)e ist ein alter Personenname, so dass man Todesfelde mit "zum Felde des Ode" übersetzen kann."

Oder vielleicht so: eine Ode auf zukünftige Fußball-Siege!


Mehr Infos dazu:

Bericht bei "nordklick"

Bericht "SportNord Aktuell"

Pressemitteilung "Eesti Jalgpalli Liit" zu Frank Bernhard

Diskussion zum Thema estnischer Fußball bei "Soccernet.ee"

Montag, September 10, 2007

Vor zwanzig Jahren in Estland

Estland wird erstmals Thema westlicher Nachrichten 1987. Noch vier Jahre wird die Sowjetunion existieren, dann ist Schluss. Ein erster Spiegelartikel aus der noch unbekannten Region. Auch danach wird es noch Monate und Jahre dauern, bis regelmäßig berichtet wird.
Spiegel 17/1987 "Mit Rock gegen Streik"
Zwangseinsatz estnischer Reservisten in Tschernobyl

In der Nacht vom 6. auf den 7. Mai 1986 ergingen in Estland Einberufungen von 4000 Reservisten zu zweimonatigen Militärübungen. ...
Die Ärzte, sagt Kippar, mußten reihenweise Schwangerschaftsabbrüche bei Frauen aus dem Umkreis von 30 Kilometern um den Katastrophenort vornehmen. Die Traktor- und Lkw-Fahrer hatten radioaktiv verseuchten Boden abzutransportieren- oft nur mit Schaufeln oder sogar den nackten Händen. ...

Über"explosive Stimmung", "Erhebung oder Streik" berichtete im August 1986 die estnische Partei-Jugendzeitung "Noorte Hääl". Am Manuskript des Autors Tonis Avikson hatte die Zensurbehörde 42 Änderungen verlangt. Avikson wurde ins ZK der KP Estlands zitiert. Da er mit den Änderungen nicht einverstanden war, drohte man ihm, ihn selbst nach Tschernobyl zu schicken. Der Journalist verfaßte eine vier Seiten lange Selbstkritik.
Zwölf der Streikenden wurden zum Tode verurteilt. Im Juli erhielt der Ingenieur Gunnnar Hagelberg, Reserveleutnant bei den Fallschirmjägern, seine Einberufung nach Tschernobyl, wo man ihm zehn Soldaten mit dem Befehl zuteilte, auf Arbeitsverweigerer zu schießen. Im August kehrte er strahlenkrank nach Estland zurück; er starb zwei Wochen später.


Glückliche Gorbi Zeit, böse Esten. Kann mir den sarkastischen Seitenhieb nicht verkneifen. Das waren Zeiten vor dem Internet.

Dienstag, September 04, 2007

Öl im Schauspielhaus

Estnisches Theater zu Gast in Deutschland - ein seltenes Erlebnis! Im Rahmen der Reihe "Projektion Europa" bestand ganze zwei Abende die Möglichkeit, das Stück "NAFTA!" des jungen estnischen Theater NO99 aus Tallinn in Hamburg zu erleben - in einer deutschen Erstaufführung, und in aller Einzigartigkeit.

Ich weiß nicht, was deutsche Theaterkritiker gedacht haben - Estland-Freund/innen waren vereinzelt anzutreffen, aber im wesentlichen wird das
Hamburger Publikum von dem Stichwort "estnisches Theater" wohl eher überrascht worden sein. "Wir sind hier zu diesem Projekt eingeladen worden - beworben haben wir uns nicht", erzählt Tiit Ojasoo, Regisseur von "Nafta!", im Gespräch. Besonders das junge Publikum in Tallinn sei begeistert von dem Stück, so erzählt er, während die estnische Theaterkritik zurückhaltend reagiere.

Und wie wird so ein Stück für Deutsche verständlich? Gut, ein Stück Vorwissen kann schon nicht schaden. Über Estlands Ölschieferförderung zum Beispiel ("Nafta" = Oil = Öl), über die estnischen Neureichen und das so gegensätzliche lauschige Landleben, über Skandale in der Wirtschaft und die vergänglichen Sprüche in der Politik.
Aber glücklicherweise gibt es auch (inzwischen?) Ähnliches zwischen Estland und Westeuropa: die Internet- und Multimedia-Begeisterung der Esten ist ja fast schon Allgemeingut. So filmen also die Schauspieler/innen (
Mirtel Pohla, Jaak Prints, Gert Raudsep, Kristjan Sarv, Tambet Tuisk) sich selbst während ihres Spiels, ob nun eingesperrt in einer Kiste, oder indem sie einfach rausrennen auf die belebten Hamburger Straßen und dort für ein paar Minuten den Augen des Publikums entschwinden.

Das Theaterstück kommt über die Zuschauer, wie der gesellschaftliche Wechsel über Estland kam: mal schrill, laut, die Botschaften der Konsumwelt ausrufend, mal leise, wie ins Selbstgespräch versunken. Selbstgespräche, die allerdings (nämlich öffentlich laut lamentierend) wohl kein Este im wahren Leben so praktizieren würde. Also: Laut ausgesprochen, was Esten denken?
Aber nicht nur das: während die übersetzten Textzeilen über das an beiden Seiten der Bühne sitzende Publikum hinwegflimmern, rasante Rollenwechel der Akteure inklusive, führen die Schauspieler auch Szenen aus dem inzwischen gemeinsamen virtuellen Europa vor. Auch das Publikum wird einbezogen, und hier wechselt die Kommunikation ins Englische: "Sind Sie Deutscher? Haben Sie einen Kredit?" Die Angesprochenen ahnen, dass Leben in Estland vieles nur auf Kredit bekommen bedeuten könnte.
Und standardisierte Fernsehshows gibt es auch in Estland inzwischen zur Genüge, vom "Superstar", der angeblich gesucht wird, bis zu den bekannten Quizsendungen. "Makaber" nennt die bisher wohl einzige verfügbare Online-Theaterkritik bei "Nachtkritik" dieses Stilmittel. Aber makaber kann wohl auch die estnische (Fernseh-)wirklichkeit wirken, angesichts den wirklichen Problemen des Lebens ...

"NAFTA ist nicht unser neuestes Stück," erzählt Tiit Ojasoo. "Es ist schon anderthalb Jahre alt, und das ist in Estland eine lange Zeit. Jetzt führen wir gerade ein Stück mit dem Titel 'heisse estnische Jungs" auf (Titel: "ГЭП"), und hier thematisieren wir den Bevölkerungsrückgang, der für unser kleines Land existenzbedrohend wirkt." Ojasoo bejaht natürlich die Frage, ob im Falle weiterer Anfragen auch dieses Stück in Deutschland aufgeführt werden könnte: "Na klar!".


Und übrigens: ein Wort haben auch die deutschen Zuschauer von dieser estnischen Aufführung behalten. "JUHUIA" - "das ruft die Stewadess beim Flugzeugabsturz", so NO99. Erzwungenes Wohlbefinden, Fröhlichkeitsoffensive derer, die meinen, alles gehe schon so weiter wie bisher. konsumorientiert und sorgenfrei. Wenn NO99 für das junge Estland spricht - dann besteht vielleícht dennoch noch Hoffnung.

(Foto: Tiit Ojasoo und Eero Epner in Hamburg)

Mehr Info zum Thema:

Infoseite NO99 zu "NAFTA!"

Info der Kulturstiftung des Bundes zu "Projektion Europa"

Infoseite Schauspielhaus Hamburg

Info Andrea Tietz Theaterproduktionen

"Nachtkritik" zum Stück "Nafta!"

Eero Epner im POSTIMEES-Interview (zur Aufführung in Hamburg) - estnisch

Montag, September 03, 2007

Osaka WM - Nachbetrachtung


Valga athletics
Originally uploaded by Jens-Olaf
Leichtathletik war einmal ein Sport, der in Deutschland so populär war, dass in Hannover die nationalen Meisterschaften vor ausverkauftem Stadion stattfanden. Jeder kannte den schnellsten Sprinter und die schnellste Sprinterin. Das war in den 50ern und gilt auch für die 60er und 70er. Seitdem geht etwas schief mit der Leichtathletik. Einmal war die Erwartungshaltung riesig bei Meisterschaften. Die Medien, alle unsere "kompetenten" Sportreporter besonders vom Fernsehen, forderten Medallien. Obwohl jedem, der es wissen wollte, klar war, dass dafür gedopt wurde bis die Sinne schwinden. Gesundspritzen in Freiburg, in Westdeutschland, das war angesagt. Selbst Provinzsportler aus Norddeutschland sind in den 80ern zu einem Sportmedizin-Guru gepilgert, um sich die berüchtigten"Coctails" verpassen zu lassen. Was da wohl drin war? Auf der anderen Seite: die Masse der Leistungsleichtathleten trainiert 4 bis 6 Mal die Woche für 'ne Randnotiz in den Regionalmedien.
Dat lohnt sich nicht.
Das stimmt hinten und vorne nicht. Und das ist die Chance für kleine Länder. Überall kann Leichtathletik betrieben werden. Die nationalen Spitzensportler sind bekannt und man ist dankbar für jeden respektablen Platz. In Estland läuft das recht optimal. Gute Infrastruktur, selbst Valga hat eine gute Kunstoffanlage. Sponsoren und staatliche Förderung für den Leistungssport und die alten Trainerkenntnisse und Trainingsdisziplin aus Sowjetzeiten plus moderner Entwicklungen, die aufgegriffen werden. So streichen sich die baltischen Staaten regelmäßig einen Teil der vordersten Plätze bei Meisterschaften ein, obwohl die Bevölkerungszahl dagegen spricht.
Leichtathletik ist zu der internationalsten Sportart geworden. Wo werden so viele Medallien bei Weltmeisterschaften an so viele Länder verteilt? Und Estland ist regelmäßig dabei.